Das war 2015!

Lügenpresse, halt die Fresse!
Die deutschen Medien befinden sich 2015 in einer Vertrauenskrise. Zumindest scheinbar. Auf Demonstrationen von sogenannten Abendspaziergängern, von AfD oder NPD oder allem zusammen, bekommen Journalisten diese Parole immer wieder ins Gesicht und in die Kamera gebrüllt. Man möchte die Presse nicht da haben, aber man möchte auch, dass ihre Meinungen in eben jener Presse vorkommen und beschwert sich über angeblich einseitiger Berichterstattung.
Die Flüchtlingskrise, die 2015 auch Deutschland erreicht hat, macht auch den Medien zu schaffen. Wie macht man’s richtig? Ausführlich über Anti-Asyl-Demos berichten? Über die Willkommensinitiativen? Über die Flüchtlinge selbst? Es scheint: Wie sie es machen, sie machen es in irgendwessen Augen immer falsch. Wobei Medien noch nie dazu da waren, einfach nur die eigene Meinung zu bestätigen. 2015 scheinen das mehr und mehr Menschen zu vergessen. Der Ton wird rauer.
Da ist es doch mal gut, einfach mal zu schweigen: Wie es der Aktivist Harald Höppner in der Talkshow von Günther Jauch durchzog: nicht quatschen, sondern einfach mal den Mund halten – und überrumpelte mit einer Schweigeminute sogar den Moderator.

Ein Moment der Ruhe. Innehalten. Angesichts so dramatischen Ereignissen wie dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris ist das auch nötig. Zwölf Menschen starben bei diesem Angriff auf die Pressefreiheit. Millionen gingen danach auf die Straße, und auch Politiker aus aller Welt trafen sich in Paris. Letztere mussten sich vorwerfen lassen, ihre Trauer inszeniert haben, weil sie abseits der eigentlichen Demonstraten standen. Dabei wäre das aus Sicherheitsaspekten vermutlich Wahnsinn gewesen.

Im Herbst folgte ein zweiter Terroranschlag in Paris. Dann noch der Abschuss eines Flugzeuges. Das Flugzeugunglück in den Alpen, als ein Co-Pilot die Maschine in den Bergen zerschellen ließ. Nachrichten in Dauerschleife. Weiter und weiter. Journalisten im Hamsterrad.

Zwei, die rausstechen, sind Anja Reschke (NDR) und Dunja Hayali (ZDF). Letztere ließ sich bei AfD und Pegida beschimpfen, hörte sich aber trotzdem an, was die Leute zu sagen hatten. Wenn sie was zu sagen hatten. Anja Reschke zertrümmerte den Schlusstrich, den einige Leute unter die Auschwitz-Erinnerungen setzen wollten. Stach mit bissigen Kommentaren zur Asylkrise und zum rechten Populismus heraus. Beide Frauen sind mutige Journalistinnen mit Haltung.

Auch Jan Böhmermann macht auf sich aufmerksam: #Varoufake. Und: #Varoufakefake. Böhmermann behauptet in seiner zdf_neo-Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“, dass der in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“ gezeigte Stinkefinger des griechischen Politikers Yanis Varoufakis gar nicht echt sei – und präsentierte ein Video, in dem zu sehen ist, wie Böhmermanns Leute das bei Jauch gezeigte Video fälschen. Ist Jauch auf einen Fake von Böhmermann reingefallen? Ist er nicht, und Jauch selbst war sich nicht mal sicher. Es soll nervöse Anrufe gegeben haben. Der Böhmermann-Fake aber war ein Fake. Grandios, und der Mediencoup des Jahres.

Hui. Bei all dem Stress will man doch mal durchatmen. Dachte sich vielleicht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und gab dem Youtube-Star LeFloid ein Interview. Okay, inhaltlich hatte das wenig Neuigkeitswert. Für die alten Hasen aus Funk, Fernsehen und Presse war das aber ein gefundendes Fressen, um mal wieder über die Internetfritzen zu lästern.
Als Merkel aber nur Tage später im ARD-Sommerinterview saß, gab es nach wenigen Minuten mit kritischen Fragen auch nur noch Kuschelthemen. Liebe gestandene Fernsehjournalisten: Macht’s doch einfach besser – dann können Sie eventuell weiterlachen.

Wie schön kann da mal ein etwas anderer Staatsbesuch sein – die Queen war in Deutschland. Da können auch seriöse Journalisten endlich mal klatschen und tratschen. Was denn das Adlon zu bieten hat. Und ob die Queen denn ein schönes Kleid an hat. Und wie denn wohl ihr Schlafzimmer im Hotel eingerichtet ist.

Und wenn man mal gar keine Nachrichten zu vermelden hat, macht man sie sich eben selbst und stellt ins „Tagesthemen“-Studio eine Puppe nur mit Unterkörper. Damit die Journallie sich wundern kann. Hat geklappt. Natürlich. Mit Mega-PR verkündete ARD-aktuell Tage später, dass man in Zukunft auch die Beine der Nachrichtensprecher sehen wird. Da ging ein Ruck durch Deutschland.

Aber genug von Nachrichten und dem ewigen Politstreit. Wie entspannend kann doch da das jährliche Dschungelcamp bei RTL sein. Und zur Abwechslung herrschte da mal Harmonie. Keiner der Insassen wollte sich so richtig streiten, und Walter Freiwald war der einzige, der für Stunk sorgte, aber bald rausgewählt worden ist. Alle hatten sich lieb. Herrlich. Hat uns aber auch nicht gepasst. Stunk! Wir wollen Stunk! Na ja, vielleicht nächstes Jahr wieder.

Das ZDF versuchte es mit einer Show, in der nichts anderes passieren sollte, als dass live ein paar Vögel aus Eiern schlüpfen sollten. Weil am 1. April ausgetrahlt, hielten es viele für einen Scherz. War aber keiner. Leider.
War allerdings bestimmt wenigstens nicht so teuer, das Ganze. Schließlich muss das Fernsehen sparen.
Das hat man 2015 bei „Deutschland sucht den Superstar“ noch nie so deutlich gesehen. Für die Verkündungen, wer eine Runde weiter kommt, hat man einfach einen Bus auf einen Parkplatz gestellt und von dort gesendet. Zwei Dutzend Fans schauten immerhin auch vorbei. Die Event-Show: ganz schön runtergekommen. Und, wer hat noch mal gewonnen? Ach, wurscht!
Aber immerhin blieben da alle gesund: Bei der neuen ZDF-Show „1000 – Wer ist die Nummer 1?“ gab es mehrere Verletzte, ein Mann bekam gar einen Herzinfarkt. Einige Spiele funktionierten technisch nicht, die aufgezeichnete Show war am Ende 35 Minuten kürzer als geplant, und eine Fortsetzung wird es wohl nicht geben.

Im Fall von „Deutschland 83“ weiß man das noch nicht genau. RTL überlegt noch. Schon das ganze Jahr über ist die deutsche Serie aus dem Hause RTL gefeiert worden. Weil sie schon auf Festivals lief. Weil sie schon im US-Fernsehen lief. Weil RTL endlich überhaupt mal was Sehenswertes geliefert hat. Dumm nur: Als sie dann im November endlich auch mal zu sehen war, interessierte das nur wenige. Die Serie wurde ein Flop, selten klafften Kritikermeinung und Zuschauerinteresse so auseinander. Absolut überschätzt.
Aber nicht der einzige Flop.
„Newtopia“ zum Beispiel. Ein Jahr lang sollte eine Gruppe Leute auf einem Gelände bei Berlin eine Kleingesellschaft bilden. Alles echt, hieß es. Das Interesse war gering, und als dann auch noch live – aus Versehen oder so – eine Produktionsbesprechung im Internet übertragen worden ist, ging alles den Bach runter. Vorzeitiges Ende.
Oder die „Stadlshow“. Mit dem sollte der „Musikantenstadl“ verjüngt werden. Andy Borg hat da nur gestört, er musste gehen. Die „Stadlshow“ aber war inhaltlich und produktionsmäßig eine Katastrophe: die Senioren verscheucht und die Jungen – die gucken doch keinen Stadl, auch nicht als Show.
Die gucken übrigens auch kaum noch Castingshows. „Die Band“ (ProSieben) und „Popstars“ (RTL II) sind böse Flops. Wie auch „Mila“, die Soap-Hoffnung von Sat.1 am Vorabend. Hat keinen hinterm Ofen vorgelockt.

Ein großer Erfolg ist dagegen „Der Club der roten Bänder“ bei VOX, eine Klinikserie über junge Patienten. Große Gefühle, große Spannung, große Komödie – ein Hit. Ebenso sehenswert wie die 3. Staffel der ARD-Serie „Weißensee“, die im Gegensatz zur RTL-Serie dicht erzählt und sehr spannend ist. Fortsetzung in beiden Fällen dringend erwünscht. Wir wollen wissen, wie es weitergeht.

2016 wird es ohne sie weitergehen. Lauter Abschiede.
Die Politiker Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und (viel zu jung) Philipp Mißfelder. Die Journalisten Hellmuth Karasek, Klaus Bednarz, Werner Zimmer und Konrad Toenz. Die Autoren Günter Grass, Henning Mankell, Harry Rowohlt, Ellis Kaut und Jutta Resch-Treuwerth. Die Filmemacher Helmut Dietl und Wes Craven. Die Moderatoren Karl Moik, Sebastian Radke und Ben Wettervogel. Die Schauspieler Norbert Gastell (die Stimme von Homer Simpson), Leonard Nimoy (Spock), Pierre Brice, Elisabeth Wiedemann, Edith Hancke, Hans Teuscher. Die Musiker James Last, Kurt Masur und Lemmy Kilmister (Motörhead). Die Sportfunktionäre Udo Lattek und Gerhard Mayer-Vorfelder. Die DDR-Größen Günter Schabowski und Alexander Schalck-Golodkowski.

Einer ist noch da, aber irgendwie auch nicht mehr. Stefan Raab will das Fernsehen Fernsehen sein lassen. Nie wieder „Schlag den Raab“. Nie wieder „TV total“. Nie wieder Wok-WM, Turmspringen, Bundesvision Song Contest. Raabschied.

Mit Raabs Weggang endet auch die Ära der großen Live-Fernsehshow. Es gibt sie noch, aber immer seltener. Kein Wunder, dass mehr und mehr junge Leute gar kein lineares Fernsehen mehr schauen. Streamingdienste im Internet haben sich inzwischen durchgesetzt, produzieren eigene, exclusive Serien. Die junge Generation macht sich ihr eigenes Fernsehen.

Eines der wenigen Events bleibt immerhin der Eurovision Song Contest. War aber 2015 aus deutscher Sicht nicht ganz so berauschend. Erst wollen die Deutschen, dass Andreas Kümmert zum Finale nach Wien reist. Der Gewählte will aber nicht. Kann aber nicht. Lässt seinen Sieg sausen. Stattdessen fährt die Zweitplatzierte nach Wien (wie heißt sie noch gleich?). Ann-Sophie bekommt dort null (genau: null) Punkte. Die Enttäuschung ist groß, die Verschwörungsrufe natürlich auch (immerhin: auch Gastgeber Österreich hat null Punkte).
Da soll es Xavier Naidoo richten, findet man beim NDR. Der Sänger steht fest, nur der Song soll vom Volke gewählt werden. Der Proteststurm ist groß. Nicht nur wegen der Bevormundung, sondern auch weil Naidoo in der Vergangenheit durch Auftritte bei politisch zweifelhaften Reichsbürger-Demos aufgefallen war. Dass das irgendwie nicht zum weltoffenen ESC passt, ist beim NDR keinem aufgefallen. Nur zwei Tage nach Verkündung zieht man dort angesichts eines Mega-Shitstorms den Schwanz ein. Die Suche nach dem ESC-Star 2016 geht weiter.

Und sonst noch?
Der Jugendkanal von ARD und ZDF kommt. Nun wohl wirklich 2016. Im Internet.
Der Münster-„Tatort“ geht weiter durch die Decke und erreichte fast 14 Millionen Zuschauer. Quotenrekord 2015.
Die „Lindenstraße“ gibt es auch noch und feiert ihren 30. Geburtstag mit einer live gespielten und ausgetrahlten Folge.
Jürgen Domian ist nun auch schon 20 Jahre dabei – und will Ende 2016 aufhören. Schade.
Bei der „Oscar“-Verleihung muss bei ProSieben jemand gepennt haben: sieben Minuten Sendeausfall. Nun ja, war ja auch nicht so spannend diesmal.
RTL klont mit „Stepping out“ seine eigene Tanzshow „Let’s Dance“ und hofft, dass der Zuschauer es nicht merkt. Hat er zum Glück trotzdem.

Sind ja nicht doof, die Zuschauer. Also, jedenfalls nicht alle. Ähm, na ja, vielleicht ein paar.
In diesem Sinne: Gute Besserung, 2016!


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