Das war 2024!

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Jahresschau! Also, zum Medien-Jahresrückblick 2024, in dem natürlich die Meldung nicht fehlen darf, dass die Tagesschau-Sprecherinnen und Sprecher um 20 Uhr nicht mehr die Damen und Herren begrüßen. Großer Aufreger und so.
Also, zweiter Versuch, jetzt moderner.
Guten Abend, ich begrüße Sie… na ja, Sie wissen schon. Aber die Aufregung um die Begrüßungsformel zeigt immerhin eines: Auch 2024 ist die Tagesschau Deutschlands wichtigste Nachrichtensendung – sonst würde so was ja gar nicht auffallen oder interessieren.

Krieg in der Ukraine. Krieg im Nahen Osten. Koalitionskrise und -bruch in Deutschland. Wetterkatastrophen. Und Trump. Auch 2024 ist wieder einiges los gewesen. In Deutschland verschärft sich der Meinungsstreit immer mehr. Mitten im Sturm: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio.
Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) schlägt ab 2025 einen höheren Rundfunkbeitrag ab kommendem Jahr vor. Es sollen 18,94 Euro sein, 58 Cent mehr als bislang. Mehrere Landesregierungen im Süden und Osten blockieren die Erhöhung, obwohl das Okay gesetzlich einfach nur Formsache sein sollte. Bis zum Jahreswechsel gibt es keine Einigung. Und die Politik zeigt einerseits, dass sie immer öfter Populisten nach dem Munde reden – und andererseits, dass sie ihr Versagen in der Hinsicht zeigt, dass sie ihre Wünsche und Sorgen hätte anbringen müssen, bevor die KEF den Finanzbedarf ermittelt.
Wie es 2025 weitergeht, muss sich zeigen.

Gespart werden muss jetzt schon. Die ARD baut immer mehr Parallelstrukturen ab. Im Radio werden viele Abendstrecken zusammengelegt. Zur Diskussion steht, arte und 3sat zusammenzulegen – was aber schwierig ist, weil beide Sender weitere Partner und Betreiber im Ausland haben. Die Sender one und zdf neo könnten jedoch in den nächsten Jahren verschmelzen.
Aber auch ganze Sendungen und Serien verschwinden, es sind bei ARD und ZDF mehr Wiederholungen im Programm. Das „ARD-Buffet“ wird gestrichen, die Politmagazine werden zu Doku-Strecken umstrukturiert. Das ZDF verzichtet auf diverse Serien.

Bei der ARD sorgen unterdessen immer wieder Streiks dafür, dass auch Auswirkungen auf das Programm zu spüren sind. Im Radio fallen Lokalnachrichten aus, bei der Tagesschau gibt es tagelang keine Hintergrundbilder, einmal muss die Sportschau in ein RTL-Studio ziehen, die NDR-Talk-Show fällt mehrfach aus oder wird spontan mit Handys wackelig auf Instagram gestreamt.

Insgesamt aber ist auch 2024 die lineare Fernsehnutzung wieder zurückgegangen. Sendungen mit mehr als fünf Millionen Zuschauern werden seltener. Besonders die Leute unter 50 schauen kaum noch fern. Die unter 30-Jährigen mitunter nicht mal mehr eine halbe Stunde am Tag.
Das merken Serien wie „Köln 50667“ bei RTL Zwei, die am Ende kaum noch Zuschauer hatte, aber bei RTL+ weiterläuft.

Mehrfach hat die ARD versucht, irgendwas Neues für das Nachmittagsprogramm anzubieten. Aber auch hier: Junge Zuschauer schalten erst gar nicht ein, und die älteren wollen nichts Neues mehr probieren. Sowohl „Leben. Live! – Mein ARD-Nachmittag“ als auch „Amado Belli Biedermann“ scheitern kläglich – wobei beide Shows auch kein Quell an Ideen waren. Das Vorhaben, die Seifenopern „Sturm der Liebe“ und „Rote Rosen“ zu kürzen, nimmt die ARD nach den Magazin-Flops wieder zurück – auch weil die Verantwortlichen feststellen, dass man nicht wirklich spart, nur weil man die Sendezeiten für zwei Serien kürzt.
Sat.1 tut sich schwer, das Vorabendprogramm zu bestücken. Statt um 19 Uhr eine Daily-Soap zu etablieren, versucht man es alle drei bis vier Monate mit wechselnden Serien, was nur so mittelgut funktioniert.

Auch Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) oder „The masked Singer“ (ProSieben) leiden unter Zuschauerschwund. Wobei DSDS auch nur noch ein Schatten seiner selbst ist, man weitgehend auf Live-Shows verzichtet. Die Maskenshow ist nach so vielen Durchläufen nichts Aufregendes mehr, und unter den Masken stecken oft Leute, die man mitunter gar nicht mehr kennt.
„Schwiegertochter gesucht“, der RTL-Edel-Trash wird sogar mitten während der Staffel abgesetzt und bei RTL+ versendet.

Die Leute schauen stattdessen immer öfter ihre Programme in Mediatheken und Streamingdiensten. Da fällt ihnen auch gar nicht auf, dass sie Fernsehen auch über den Kabelanschluss noch empfangen – und seit Juli nicht mehr automatisch dafür zahlen müssen. Das sogenannte Nebenkostenprivileg ist weggefallen. Die Leute können nun selbst entscheiden, auf welchem Wege sie ihre Programme bekommen wollen. Für die Kabelnetzbetreiber gibt es ein böses Erwachen – denn viel weniger als gedacht wollen weiterzahlen oder bei anderen Anbietern ihr geld für lineares Fernsehen dalassen.
Es streamen inzwischen so viele Leute, dass bei großen Events die Server nicht mehr mitmachen. Als Netflix live den Boxkampf von Mike Tyson zeigt, sehen viele nur Störungsbilder. Als die Telekom bei Magenta TV das Fußball-EM-Spiel von Österreich gegen die Türkei in Deutschland exklusiv zeigt, geht auch dort das System in die Knie.

Denn es gibt es noch die großen Events. Das Fußball-EM-Spiel zwischen Deutschland und Spanien sehen im Ersten 27,15 Millionen Menschen. Beim Spiel gegen Dänemark kommt es wegen eines Unwetters zu einer langen Spielunterbrechung, und das ZDF überträgt live Hagel und Gewitter. Die Olympischen Spiele in Paris sind ebenso ein Highlight, die Eröffnungsfeier ist nicht im Stadion, sondern in der ganzen Stadt verteilt. Und wir können über zahlreiche Live-Streams selbst entscheiden, welche Sportart wir schauen. Gute Arbeit von ARD und ZDF. Also, außer, wenn sich das ZDF 24,8 Sekunden vor der Medaillen-Entscheidung im Basketball ausklinkt, um Werbung und „heute“ zu zeigen.
Aber auch der Tatort am Sonntag ist noch eine sichere Bank. Den Krimi aus Münster, „Unter Gärtnern“ sehen 13,32 Millionen Menschen.
Als Joko und Klaas mal wieder Sendezeit bei ProSieben gewinnen, sind es diesmal sogar 24 Stunden. Live spazieren sie mitten in der Nacht durch Berlin, quatschen mit Leuten, gehen in einen Späti. Sie gehen – auch live – joggen, und am Abend kommen sie mit einer spontan neuen Live-Show um die Ecke.
Die ARD kopiert unterdessen die „Joko & Klaas live“-Idee, und plötzlich beginnt am Sonntag um 20.15 Uhr nicht der „Tatort“, sondern eine Sendung über Kinderrechte. Ohne Ankündigung, aber mit viel Aufmerksamkeit.
Das sind sie, die starken Momente des linearen Fernsehens.

Jedes Jahr auch mit dem Eurovision Song Contest, der 2024 in Malmö in Schweden stattfand. Aber es ist nicht so wie immer. Wohl wegen eines Fehlverhaltens wird Joost Klein aus den Niederlanden ausgeschlossen. „Europapa“ lag recht hoch in den Wetten. Und es gibt Buhrufe für den Beitrag aus Israel. Die große Politik schleicht sich in die Show, fast hätten aus Protest gegen die Teilnahme des Landes mehrere Nationen die Show verlassen. Wie sich einige Teilnehmenden gegenüber Eden Golan und ihre israelische Delegation verhalten, ist unterirdisch. Und, ach ja, die Schweiz hat gewonnen. Deutschland schafft es mit Isaak und „Always on the Run“ auf Platz 12.

Nun soll es einer richten, der Deutschland beim ESC schon mal groß gemacht hat. Stefan Raab ist zurück. Nach mehr als acht Jahren kündigt er an, wieder im Fernsehen mitmischen zu wollen – bei RTL. Die Freude ist groß, die Ernüchterung bald auch. Erst boxt er gegen Regina Halmich und verliert zum dritten Mal gegen sie. Dann legt er mit dem „RTL-EM-Studio“ einen gewaltigen Flop hin. Bei RTL+ hat er dann eine wöchentliche Show, die eine Mischung aus „TV total“ und „Schlag den Raab“ ist, und es starten mehrere Shows, die auch an „Schlag den Raab“ erinnern. Viel Neues fällt Stefan Raab nicht ein.
2025 kümmert er sich wieder um den deutschen Vorentscheid beim ESC – diesmal dann bei RTL und im Ersten. Mal sehen, was das bringt.

Einer kommt, andere gehen. Jan Hofer kündigt seinen Abschied an – er verlässt „RTL direkt“ und geht in den Ruhestand. Diesmal wirklich. Vielleicht. Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben werden bei „RTL aktuell“ tränenreich verabschiedet. Carmen Nebel tritt das letzte Mal in ihrer ZDF-Weihnachtsshow auf.

Ohne diese Menschen müssen wir nun leider für immer auskommen: die Schauspieler Hannelore Hoger, Maggie Smith, Alain Delon, Karin Baal, Shannon Doherty, Jürgen Thormann, Benji Gregory, Donald Sutherland, Ruth-Maria Kubitschek, Wichart von Roëll, Peter Sodann, Vera Tschechowa, Fritz Wepper, Horst Naumann, Johanna von Koczian, Christel Bodenstein, Rainer Brandt und O.J.Simpson. Die Regisseure Wolfgang Becker, Jim Abrahams, Thomas Heise, Percy Adlon und Michael Verhoeven. Die Moderatoren Klaus Schwarze, Peter Nidetzky, Peter Zwegat, Michael Karr und Hermes Phettberg. Die Journalisten Gerd Heidemann, Christoph Maria Fröhder und Lutz Hachmeister. Die TV-Produzentrin Evelyn Matt. Sexforscherin Ruth Westheimer. Die Musiker Hans Hammerschmid, Quincy Jones, Martin Lee, Liam Payne, Kris Kristofferson, Caterina Valente, Tomcraft, Fred Fesl, Eberhard Hertel, Dario G., Henry Valentino, Eric Carmen und Frank Farian. Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Satiriker Richard Rogler, Autor Paul Auster. Ratefuchs Klaus-Otto Nagorsnik. Die Sportler Franz Beckenbauer, Christoph Daum, Willi Lemke, Kay Bernstein, Manfred Wolke und Andreas Brehme. Der Unternehmer Günther Fielmann. Die Politiker Jimmy Carter, Klaus Töpfer und Wolfgang Gerhardt. Und der Aktivist Alexej Nawalny.
Zum Jahresende verlässt auch Astro TV die deutsche Fernsehbühne. Und erstaunlicherweise hat es niemand vorhergesagt.

Auch niemand vorhergesagt hat, dass im Winter viele Menschen auf die Straße gehen. Sie protestieren gegen Rechtsextremismus, gegen die AfD und vor allem gegen das, was über ein Geheimtreffen bekannt geworden ist, bei dem in Potsdam Vertreter von AfD, von rechtsextremen Gruppen, von der Werteunion und auch von der CDU darüber debattierten, wie es weiter geht in Deutschland. Stichwort: Remigration. Ein Begriff, mit dem die AfD inzwischen ganz selbstverständlich wirbt. Correctiv war es, die das Geheimtreffen an die Öffentlichkeit brachte. Im Berliner Ensemble werden die Enthüllungen als Theaterstück aufgeführt, der rbb zeigt die Aufführung im Programm.

Und ist es gar nichts passiert, was irgendwie positiv ist? Doch, doch. Caren Miosga übernimmt den Talk am Sonntagabend im Ersten und setzt Akzente mit einer Mischung aus 1:1-Gespräch und kleiner Runde. Ralf Schumacher outet sich am Abend des Fußball-EM-Finales. Und die Krönung von Dänemarks neuem König Frederik X. mit Tränen der Freude – schöne Momente.

Und sonst so? Gottschalk muss jetzt nachdenken, bevor er was sagt. Schicksal des Jahres.
Politiker blamieren sich bei der Spendengala „Ein Herz für Kinder“ mit peinlichen Gags im falschen Moment.
Der „ZDF-Fernsehgarten“ muss mal wieder wegen eines Gewitters evakuiert werden.
„Hart aber fair“ (Das Erste) wird in politisch schwierigen Zeiten gekürzt und kommt 2025 nur noch 20-mal.
Die Bambi-Verleihung läuft jetzt fast unbemerkt bei Amazon Prime Video. Nicht unbemerkt bleibt dagegen, dass Prime Video jetzt Werbung in seine Sendungen einstreut – und damit wie ein Billig-Streamer wirkt.
Eine Ausgabe des „ZDF-Magazin Royale“ zum Thema Gehirnwäsche wird vom ZDF verboten, stattdessen macht Böhmermann eine Sendung zum Thema „Rückgrat“.
Als der rbb in „Der Tag“ live aus Kremmen berichtet, wird der Reporter von einer Bauern-Trecker-Demo überrascht.
„Big Brother“ gibt es wieder für Normalos, aber bei Sat.1 interessiert das kaum jemanden.
Sport 1 zeigt kaum noch Sport, dafür Mode-Castingshows – mit einem pöbelnden Harald Glöööckler.
Oliver Geissen macht wieder eine Rankingshow – jetzt aber bei Sat.1.

2025 wird spannend. Bundestagswahl. Populismus. Trump. Und dann? Wir werden es erleben. Guten Rutsch.
Und interessiert sich noch irgendjemand für Dubai-Schokolade?


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