1990 – Jahr der Einheit: Der Unmut hört nicht auf

Dezember 1989 -> 12.12.2009

Rückblick: Im Januar 1990 sind die Menschen im Altkreis Oranienburg misstrauisch: Was wird aus dem Stasi-Ministerium?

MAZ Oranienburg, 22.1.2010

OBERHAVEL
Was passierte im Jahr der Einheit im Altkreis Oranienburg – und was berichtete die Märkische Volksstimme (MV)? Wir blättern zurück. Diesmal der Januar 1990.

Der Beginn des neuen Jahrzehnts ist bitterkalt, und viele Bewohner von Velten-Süd sitzen in kühlen Wohnungen. Seit Monaten klappt die Wärme- und Trinkwasserversorgung nicht, klagt eine MV-Leserin am 5. Januar. Das Wasser ist oft braun und ungenießbar.

Auch die Menschen in Schönfließ sind sauer. Ihr „Alter Dorfkrug“ ist geschlossen. Dabei versuchte der Rat der Gemeinde seit fünf Jahren Mittel und Wege zu finden, das Haus zu rekonstruieren und die Gaststätte zu halten. Aber es fehlen das nötige Geld und die Kapazitäten. Das sofortige Aus kann jedoch nicht verhindert werden.

Ärger gibt es auch in Teschendorf. Die Gemeindevertreter sind mit der Konsumgenossenschaft unzufrieden. Der Zustand der Verkaufsstelle im Ort war so schlecht, dass sie geschlossen werden musste. Mit dem Notverkauf im Saal des Ortes können sich die Leute nicht anfreunden, denn: Was wird nun aus den Kulturveranstaltungen?

Die jungen Leute drängen ebenfalls auf Veränderungen. An der Oranienburger Pablo-Neruda-Oberschule starten mehrere Unterschriftenaktionen: dafür, dass der Russischunterricht nur noch auf freiwilliger Basis stattfindet. Außerdem wollen die Schüler einen Schulfunk und die Erlaubnis, in den Pausen in die benachbarte Kaufhalle gehen zu dürfen.

Ganz neue Nachrichten kommen aus dem Oranienburger Jugendclub „Freundschaft“: Demnächst findet ein Abend unter dem Motto „Die Geschichte des Sex“ statt. Aufklärung live vor Ort. Unterdessen sind die Glienicker auf die Idee des Oranienburger Jugendclubs aufmerksam geworden, eine regelmäßige Talkshow zu veranstalten. Sie soll nun monatlich im Kulturhaus stattfinden. Erster Gast am 10. Januar: SED-PDS-Politiker Gregor Gysi.

Die Menschen in Germendorf wehren sich: Die Mülldeponie soll erweitert werden. Die neue Recyclinganlage ist für den Abfall aus West-Berlin gedacht. Etwa 300 Bürger sprechen sich bei einer Versammlung am 10. Januar dagegen aus.

In Stolpe-Süd wird am 13. Januar der erste Grenzübergang für Fußgänger eingerichtet. Zehntausende kommen zu dem Fest. Stolpe-Süd und Hennigsdorf sowie der Berliner Stadtteil Heiligensee rücken ein Stück zusammen. Die Glienicker und Hohen Neuendorfer müssen noch warten.

In Oranienburg tagt der Runde Tisch. Die Teilnehmer fordern erneut die nachweisliche Auflösung der Staatssicherheit. Außerdem sollen dessen Mitarbeiter in die Volkswirtschaft eingegliedert werden, allerdings ohne ihnen unangemessene Überbrückungsgelder zu zahlen. Ähnliche Forderungen haben die 5000 Teilnehmer der Montagsdemo am 15. Januar in Oranienburg. Die Kraftfahrer vom VEB Versorgungstransporte bestreiken sogar den Milchhof Berlin, um gegen die Stasi zu protestieren. Betroffen sind Schulen, Kindergärten und Läden im S-Bahn-Bereich. Das ruft wiederum Unmut hervor.

Die Märkische Volksstimme sagt sich vom Sozialismus los und erscheint ab dem 18. Januar als unabhängige Tageszeitung – und mit einer Beilage. Der „Havelland-Anzeiger“ ist ein Anzeigenblatt und eine Kooperation zwischen der MV und dem Spandauer Volksblatt. Diese erste Ost-West-Zusammenarbeit sorgt für deutschlandweite Schlagzeilen.

In ganz Europa unterwegs sind Elisabeth und Alexander Kuffel. Das Ehepaar aus Berlin-Tiergarten pilgert seit Jahren von Kirche zu Kirche. Im November 1987 besuchte es als 10 000. Kirche den Petersdom in Rom – und im Januar 1990 steht die evangelische Kirche in Oranienburg auf der Liste. Ihre Nummer 12 730.

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