Wendejahr 1989: Frauentagsfeier in Gefahr

August 1989 -> 14.8.2009

Rückblick: Ärger um einen Borgsdorfer Festsaal und flüchtende Schüler im September 1989

MAZ Oranienburg, 26.9.2009

Was stand im Wendejahr in der Märkischen Volksstimme (MV)? Und was nicht? Wir blättern zurück. Diesmal der September 1989.

OBERHAVEL
1. September 1989, Schulanfang im Kreis Oranienburg. Das Motto des Jahres 1989/90: „Meine Liebe, meine Tat meiner Heimat DDR“. So steht es im Gruppenbuch der 5b der Oranienburger Pablo-Neruda-Oberschule. Es ist dasselbe Motto wie im Schuljahr davor. Nicht im Buch steht – und auch die MV berichtet nicht darüber –, dass immer mehr Schüler in den Klassen fehlen. Sie und ihre Eltern flüchteten in den Westen. Die Fluchtwelle geht im Spätsommer auch am Kreis Oranienburg nicht vorbei. Im Filmpalast der Kreisstadt läuft zu dieser Zeit übrigens der Streifen „Die Flüchtenden“. Das passt.

In Schmachtenhagen wird Anfang September das neunte Polytechnische Zentrum des Kreises eröffnet. „Es zählt zu den schönsten“, schreibt die MV. 31 Lehrfacharbeiter der Landwirtschaft feiern die neue Schule.

Am 15. September 1989 veröffentlicht die MV einen erbosten Brief der Frauenkommission des VEB Plastimat Oranienburg. Schon Ende März 1989 wurde der Saal in der Borgsdorfer Gaststätte „Weißer Hirsch“ für die Frauentagsfeier 1990 bestellt. Doch nun, ein halbes Jahr nach der Bestellung, erfuhren die Arbeiterinnen: Der Saal schließt Anfang 1990 wegen lang andauernder Renovierungsarbeiten, und keiner habe Bescheid gesagt. Wo sollen die 110 Frauen denn nun feiern? Dabei sind es doch nur noch gute fünf Monate bis dahin.

Gearbeitet wird aber weiterhin, auch ehrenamtlich. Trotz Dauerregens beteiligen sich mehr als 200 Menschen am Arbeitseinsatz für die Solidarität, zu dem die MV im Vormonat aufrief. Auf der Havelinsel („Pferdeinsel“) in Oranienburg glätten die Helfer die Wege, verlegen Kabel und bauen einen Abenteuerspielplatz.

Erste Vorboten der Wende in Glienicke: Am 19. September treffen sich 25 Menschen im Gemeinderaum der Evangelischen Kirche. Sie wollen nun wöchentlich über die Lage in der DDR beraten. Das Ziel: mehr Mitspracherecht für den Normalbürger.

In der Kreisstadt beginnen gleichzeitig die Pleinair-Tage. Sieben Freiluftmaler aus der Region treffen sich unter der Leitung des Grafikers Uwe Beckmann, um mit dem Pinsel die Stadtlandschaften festzuhalten. Später ist geplant, die Werke in der Bibliothek auszustellen.

Die Kremmener feiern Mitte September das Richtfest für den neuen Jugendklub am Sportplatz. Die Stadt gab bereits die finanziellen Mittel, am Jahresende ist die Eröffnung geplant.

Ganz so rosig ist es um die neue Dropebrücke in der Oranienburger Saarlandstraße nicht bestellt. Es gibt Probleme mit dem Bauablauf, wird am 27. September in der MV eingeräumt. Es sei Torf im Boden gefunden worden. Die eigentlich am 40. Republikgeburtstag, dem 7. Oktober, geplante Eröffnung muss verschoben werden.

Unterdessen starten in Oranienburg die Festtage zu eben jenem Feiertag: 40 Jahre DDR. Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Modenschauen. Der Ball der Volkskunst und ein Jugendtanz im Gesellschaftshaus. Für jeden ist etwas dabei. Der Sozialismus zeigt sich von seiner aktivsten Seite. Zum letzten Mal. Schon eine Woche davor begann – auch letztmals – das Parteilehrjahr. „Für unsere gute Sache, den Sozialismus, streiten und kämpfen“, heißt es in der MV Mitte des Monats.

Ende des September 1989 sind es noch sechs Wochen bis zum Mauerfall, und im Filmtheater Hohen Neuendorf läuft „Schrei nach Freiheit“.


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