Wendejahr 1989: Schwante feiert die neue SDP

September 1989 -> 26.9.2009

Rückblick: Anfang Oktober 1989 gründen sich die DDR-Sozialdemokraten / Zum letzten Mal jubelt die SED

MAZ Oranienburg, 10.10.2009

Was stand im Wendejahr in der Märkischen Volksstimme (MV)? Und was nicht? Wir blättern zurück. Diesmal die erste Oktober-Hälfte 1989.

OBERHAVEL
Im Oktober ist die DDR ein Krankheitsfall. Der Sterbeprozess scheint kaum zu bremsen zu sein. Ungeachtet dessen werfen am 3. Oktober 1989 die Feiern zum 40. Geburtstag der DDR ihre Schatten voraus. Die MV veröffentlicht das Programm der Oranienburger Festtage: Im Haus der Jungen Pioniere in der Heidelberger Straße (ungefähr dort, wo heute die Turm-Beachhalle ist) steht die Party unter dem Motto: „40 gute Taten – Wir decken den Gabentisch unserer Republik“. Noch ahnt niemand, dass genau ein Jahr später diese Republik schon Geschichte sein wird.
Anfang Oktober ist vielen Leuten nicht zum Feiern zumute. Die Fluchtwelle erreicht ihren Höhepunkt. In Prag, Warschau und Budapest sind zehntausende DDR-Bürger in den Botschaften. Die Grenzen gen Osten sind dicht.

Vor dem Jubiläum am 7. Oktober sollen noch einige Erfolge gefeiert werden: Die oberste Etage des HO-Kaufhauses an der Oranienburger Straße des Friedens, Ecke Otto-Nuschke-Straße (heute: Bernauer Straße/Lehnitzstraße) wird wiedereröffnet. Die Kunden finden dort Dekostoffe und Gardinen. Am Bötzower Platz in Oranienburg bekommt Familie Dörrfeld den Schlüssel für die 5000. Neubauwohnung. Sie bezieht drei Zimmer in Block 17. Für den „Jubeltag“ hübschte ein Kunstschmied das Tor zum Schlosspark auf, passte die originalgetreuen nachgestalteten Flügel an.

Dann ist er da – der letzte Republikgeburtstag. In den Saal der Oranienburger SED-Kreisleitung werden Parteiveteranen und Aktivisten der ersten Stunde eingeladen. Sie hören, wie sollte es anders sein, Worte des Dankes. In der MV erscheint am 5. Oktober eine Willenskundgebung der Kultur- und Geistesschaffenden des Kreises Oranienburg mit der Überschrift „Weil ich dieses Land liebe…“. Unterdessen werden die Teilnehmer des großen Fackelumzuges in Berlin aufgefordert, sich am 6. Oktober um 15 Uhr im Blauhemd auf dem Pharma-Parkplatz in Oranienburg zu versammeln.

Mit dem Republikgeburtstag haben die 50 Menschen, die sich am 7. Oktober 1989 im Pfarrhaus in Schwante versammeln, nichts am Hut. Sie gründen die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP). Zum Sprecher wird der Programmierer Stephan Hilsberg gewählt, Ibrahim Böhme zum Geschäftsführer. Schwante schafft es damit sogar in die „Tagesschau“.

In den Schulen des Kreises läuft der DDR-Alltag zunächst unbeirrt weiter. An der Pablo-Neruda-Oberschule in Oranienburg sind am 9. Oktober 1989 Gruppenratswahlen. Berichte über Demonstrationen, wie die am selben Abend in Leipzig, werden als westliche Hetze abgetan.

Mehr als 100 000 Menschen haben in der Gedenkstätte Sachsenhausen die Ausstellung „Topografie des Terrors“ gesehen, die am 15. Oktober 1989 endet.

Abseits der Politik gibt es in Velten Ärger mit den Müllwagen: Zum vierten Mal in kurzer Zeit knallte ein Lkw gegen das Mauerwerk am Müllcontainer in der Wilhelm-Pieck-Straße. Beschuldigt werden die Fahrer der Stadt- und Gemeindewirtschaft. „20 Jahre ging alles gut“, merkt ein Leser in der MV an. Und so eine Mauer könne doch nicht so plötzlich hinderlich sein.

Hinderlich ist die Mauer rund um West-Berlin definitiv. Ihre Tage sind gezählt.


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