Der ach so heilige Sonntag

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat heute verkündet, dass die verkaufsoffenen Adventssonntage in Berlin verfassungswidrig sind.
Die Kirche hat geklagt. Der Sonntag sei der Tag der Ruhe, der Tag der Familie, des Beisammenseins. Sonn- und Feiertage seien als „Tage der Arbeitsruhe“ aus religiösen Gründen, aber auch zur persönlichen Erholung der Arbeitnehmer und ihrer Teilhabe am sozialen Leben geschützt.

Mal abgesehen davon, dass ich es ein wenig irritierend finde, dass das BVG wegen religiöser Gründe für oder gegen etwas entscheidet – ich kann das Ganze nicht nachvollziehen.
Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Leute müssen in der Woche oft weiter pendeln als bisher. Zeit für Familie bliebt unter der Woche kaum.
Aber wer sagt, dass das Familienbeisammensein nicht aus einem gemütlichen Shoppingbummel bestehen könnte. Und warum wollen eigentlich andere darüber entscheiden, was wir tun oder lassen wollen?

Und wieso werden eigentlich die Leute, die im Handel arbeiten, bevorzugt behandelt? Oder wollen die Leute montags in Zukunft keine Zeitung mehr, weil die Journalisten sonntags auch frei haben wollen? Fällt bald das Fernsehen am Sonntag aus? Macht der Bäcker sonntags dicht? Die Tankstellen? Kinos? Kneipen? Vom Pflegepersonal ganz zu schweigen. Regt sich da jemand auf, dass die alle sonntags arbeiten müssen? Nein, denn das ist selbstverständlich. Diese ganzen Leute brauchen die Sonntagsruhe offenbar nicht. Da muss wohl mal eine Verfassungsänderung her.


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Kommentare

25 Antworten zu „Der ach so heilige Sonntag“

  1. Felix

    Ich bin absoluter Fan dieses Urteils. Am überzeugendsten finde ich die Argumentation, dass die betriebsame Hektik, die an allen anderen Tagen herrscht, wenn die Geschäfte offen haben, auch einmal unterbrochen werden muss. Da unterscheidet sich der Handel nämlich von den genannten anderen Branchen, deren Arbeit eher im Verborgenen geschieht.
    An einem Sonntag an geschlossenen Geschäften vorbeizugehen und nur gemütliche Spaziergänger zu treffen, ist ein Luxus, den man sich gerade in einer Zeit bewahren sollte, die immer hektischer und ungesünder wird.

  2. RT

    Also in Oranienburg würdest du keine gemütlichen Spaziergänger treffen. Die sitzen dann nämlich vorm Fernseher.
    Ich finde auch nicht, dass ein Einkauf immer hektisch ist. Kommt ja drauf an, ob man mal fix zu Aldi muss oder mal in ruhe Klamotten kaufen (oder nur ansehen) geht.
    Außerdem: Tankstelle und Co. ist schon eine ähnliche Branche.

  3. Felix

    Bist du denn also für eine generelle 24/7-Öffnungsregelung?

  4. RT

    An sich bin ich für die völlige Liberalität. Es wird ja niemand gezwungen zu öffnen. Mit der Regel, am Sonntag nur von 13-20 Uhr öffnen zu dürfen, kann ich aber auch leben. Da bleibt sogar noch Zeit für den Gottesdienst…

  5. Felix

    Hm, nee, also das will ich nicht. Ein Tag der Ruhe ist schon schön. Zum Glück stehts ja in der guten alten Weimarer Reichsverfassung noch drin. 🙂

  6. RT

    Es hindert dich doch niemand dran. Du kannst doch machen was du willst an den Sonntagen. Aber das muss ja nicht für alle anderen Menschen gelten.

  7. Felix

    Nee, das stimmt nicht. Ich möchte ja gern am Kudamm entlangflanieren oder am Alexanderplatz oder in der Friedrichstraße und dabei nicht von der shoppingwütigen Masse zerquetscht werden. Denn wenn die Läden zu sind, ist eindeutig weniger los.

  8. RT

    Das ist dann aber egoistisch. 😉

  9. Felix

    Na komm, gönn‘ mir doch den einen Tag 🙂 Ich kann doch hier nicht nur einmal um den Block laufen.

  10. RT

    Ich gönn dir das, von Herzen sogar. Das ändert aber nix daran. 🙂

  11. Mich wundert, dass hier ausgerechnet der Liberale unter uns auf „seinem Sonntag für alle“ beharrt. 😀

    Ich halte die Begründung des Urteils für falsch, der WRV-Artikel (korrekte Abkürzung?) stammt aus einer anderen Zeit. Deutschland ist heute eine andere Gesellschaft, weitestgehend atheistisch und wirtschaftlich vor allem eine Dienstleistungsgesellschaft. Deinstleistungen müssen rund um die Uhr erfüllt werden, somit gibt es eine breite Masse, die schon jetzt keinen „freien Sonntag“ mehr hat.

    Für den freien Tag in der Woche, den „Tag der Ruhe“ bin ich hingegen schon. Der ist aber eher für das Individuum wichtig und nicht für die Öffentlichkeit! – Flanieren am Kudamm? Wenn der Kudamm nunmal eine Einkaufsmeile sein will, dann musst du woanders flanieren gehen – Daher bin ich für eine gesetzliche Regelung: 1 freier Tag/ Woche. Destweiteren Liberalisierung, also 24/7 aber mit deutlich höheren Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen für die Arbeitnehmer (etwa 75% aber ich bin kein Volkswirtschaftler) um die Öffnungszeiten tatsächlich nur bei Bedarf 24/7 zu regeln.

  12. RT

    Ja, gerade die religiöse Note im Urteil fand ich befremdlich.

  13. Felix

    Naja, eine religiöse Note sollte die Begründung schon haben, wenn man das Urteil auf die Glaubensfreiheit (Art. 4) stützt 😉

  14. Felix

    An Carlos:

    Ich finde aber nicht, dass nur weil schon viele keinen freien Tag haben, noch viel mehr keinen haben sollen. Die Ruhe des Sonntags entsteht gerade dadurch, dass so gut wie nichts stattfindet. Denn wie soll ich meine individuelle Ruhe genießen können, wenn an jedem Tag die Baustellen-Schuttrutschen, Presslufthämmer und Müllabfuhren dieser Welt herumlärmen. Ich freue mich immer, dass man am Wochenende davon verschont bleibt.

    Manche Arbeiten lassen sich aber nicht verschieben oder müssen jeden Tag erbracht werden (Pflege, Gesundheit, Mobilität). Und dann, aber auch nur dann, müssen Ausnahmen von der Sonntagsruhe zulässig sein.

  15. RT

    Aber Baustellen sind doch am Sonntag gar nicht aktiv.
    Das Problem ist, dass die Art der Sonntagsruhe jeder anders sieht. Es gibt Leute, die empfinden shoppen als Entspannung.
    Was ist mit den Kinos, Videotheken etc?

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