Zug kaputt, Straßen okay

Die 19-jährige Annegret Jahn aus Bötzow radelte neun Tage durch Polen nach Litauen

MAZ Oranienburg, 11.9.2003

BÖTZOW
Fast 1100 Kilometer in neun Tagen. Nicht etwa mit dem Auto, das wäre ja nun wirklich nichts Herausragendes. Gemeinsam mit ihrem Vater Karl-Ernst (50) und ihrem Bruder Michael (17) fuhr die 19-jährige Bötzowerin Annegret Jahn mit dem Fahrrad nach Litauen.
„Die Idee dazu kommt von meinem Vater“, erzählt sie. „Er hat früher schon Touren gemacht, war schon in Bulgarien, Schweden und Dänemark.“ In den letzten Jahren ging es dann nach Prag, Amsterdam und nun nach Klaipeda in Litauen.
Das ist keine Luxusangelegenheit. „Auf so eine Reise kann man natürlich nur das Allernötigste mitnehmen“, berichtet Anne. Auf den Gepäckträgern der Fahrräder ist eben nur begrenzt Platz. „Für ein Kissen zum Schlafen oder gar ein Kuscheltier reicht es nicht.“
Die Reise beginnt in der Nähe von Küstrin an der deutsch-polnischen Grenze, bis dahin fahren die drei noch mit dem Auto. Der Zeitplan ist eng, die Fähre von Klaipeda nach Neu-Mukran auf Rügen muss acht Tage später erreicht werden. Eigentlich sollte die Reise dorthin auch durch Russland führen, dafür bekamen die drei aber kein Visum. „Das ist eine komplizierte und teure Angelegenheit“, kürzt Anne die ganze Geschichte ab.
Von Zeltplatz zu Zeltplatz sollte die Reise gehen. So landen die Radler am ersten Abend in Gorzow auf einem Anglerzeltplatz.
163 Kilometer: der zweite Tag. „Die Straßen in Polen sind aber ganz gut, was man ja eigentlich gar nicht so denkt“, meint Anne. „Wir sind eher kleinere Straßen gefahren, wo nicht so viele Lkws sind.“ Die Hügel sind nicht sehr schwer zu überwinden. „Danach geht’s ja wieder bergab und mit Schwung auf den nächsten Hügel.“
Abends, auf dem Zeltplatz, „da packt man sich einfach nur hin“. Sicher sein, ob der Zeltplatz wirklich auch einer ist, kann man sich aber nicht. „In Lojewo wurde uns gesagt, dort sei einer, aber es war nur eine große Wiese an einem See.“
Von Nidzica bis Szczytno fährt das Trio ausnahmsweise mit dem Zug. Szczytno liegt in den Masuren. „Da war es wirklich wunderschön. Wald, Hügel und viele Seen.“ Die Gegend ist unter Touristen als beliebte Paddel-Landschaft bekannt. Dementsprechend war der Zeltplatz von Babieta auch bevölkert von Urlaubern, oftmals aus Deutschland.
Nach Suwalki sollte es wieder mit dem Zug weitergehen, doch es fährt leider keiner. „Zug kaputt“, ist die Auskunft, die sie erhalten. So wird die Fahrt an diesem Tag 30 Kilometer länger als geplant. Es werden genau 165. Tour-Rekord.
An der Grenze zu Litauen sind die Kontrollen relativ scharf. „Die Grenzer sahen sich unsere Pässe sehr genau an“, erinnert sich Anne. „Anscheinend wird dort sehr viel geschmuggelt.“ Dieser Teil der Fahrt ist wohl auch von der Strecke her der anstrengendste. Es geht 20 Kilometer fast durchweg leicht bergauf. „Außerdem ist die Gegend ziemlich langweilig, nur Felder an den Straßen.“ Sie erreichen die Stadt Sakiai. „Dort war alles ganz gut in Schuss. Man erkennt gleich den westlichen Einfluss. Auf dem Land sind aber ziemlich arme Verhältnisse. Aber die Leute dort sind glücklich“, schiebt Anne hinterher. Sie übernachten auf einem Bauernhof. Am Morgen bekommt sie von den Leuten dort Frühstück.
Als sie am nächsten Tag von Silute aus erneut mit der Bahn fahren wollen, fällt ihnen erstmals auf, dass in Litauen die Uhren anders gehen: eine Stunde Zeitverschiebung. Das zu wissen ist nicht unwichtig, wenn man die Fähre in Klaipeda pünktlich erreichen will.
Während der 19-stündigen Fahrt nach Neu-Mukran bekommen sie Geschichten von Leuten zu hören, die stolz erzählen, dass sie 600 Kilometer in zwei Wochen geradelt sind. Die gleichen Leute sind, wenn sie erfahren, wie viele Kilometer die drei unterwegs waren, nicht mehr ganz so stolz.
Der heimische Alltag holt die Radler im Regionalexpress in Löwenberg wieder ein. „Wir haben voraussichtlich eine Stunde Verspätung“, ertönt es aus dem Lautsprecher. „Bestimmt wieder eine Bombenentschärfung in Oranienburg“, witzeln Annegret und ihr Bruder. Was sie nicht wissen: Als ihr Zug doch noch pünktlich in Oranienburg einrollt, ist er der Erste, der nach der tatsächlichen Bombenentschärfung überhaupt wieder den Bahnhof ansteuern darf.
Grundsätzlich macht so eine größere Radtour natürlich Spaß, doch eine Fahrt nach Litauen wird Anne sicherlich nicht noch einmal machen. „Ich würde gern noch einmal nach Amsterdam. Das fährt sich gut. Die Bedingungen für Radfahrer sind dort optimal.“ Auch für das nächste Jahr ist eventuell eine weitere Fahrt geplant. „Mal sehen, wo es dann hingeht…“


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