Wegen der stark steigenden Preise besteht beim MSV in Oranienburg die Befürchtung, dass sich die finanzielle Situation vieler Menschen verschärfen wird – Linke-Landtagsabgeordnete informieren sich
MAZ Oberhavel, 21.7.2022
ORANIENBURG.
Es sind düstere Aussichten, die dem Sozialwesen bevorstehen. Angesichts möglicherweise stark steigender Preise für Strom und Gas befürchtet der Märkische Sozialverein (MSV) in Oranienburg eine steigende Zahl an Menschen, die in die Armut rutschen. Gleichzeitig gebe es immer weniger Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten möchten, weil die Bedingungen oftmals zu schlecht seien.
Fast zwei Stunden lang ist am Mittwochvormittag im Versammlungsraum des MSV über die besorgniserregende Situation der Gesellschaft gesprochen worden. Anlass dafür war der Besuch zweiter Landtagsabgeordneter der Linken. Zu Gast waren Andreas Büttner, der sozialpolitische Sprecher der Linke-Fraktion im Brandenburger Landtag, und Sebastian Walter, der Fraktionsvorsitzende der Linken in Brandenburg. Auf ihrer Sommertour besuchen sie unter anderem soziale Einrichtungen und Vereine in Brandenburg. Die Tour stehe unter dem Titel „Ein Schutzschirm für Brandenburg“, wie die beiden Landtagsabgeordneten schon im Vorfeld mitteilten. Die Linke im Landtag setze es sich zum Ziel, die Preisexplosion zu stoppen, die Menschen zu entlasten und Armut zu verhindern. Lokale Akteure wie der Märkische Sozialverein seien dabei in diesen Zeiten unverzichtbar, um Menschen aufzufangen, die durch das immer löchrigere Netz des Sozialstaates fallen würden.
„Es ist eine beängstigende Situation“, sagte MSV-Geschäftsführerin Gabriela Wolff am Mittwoch. Und das aus vielen Gründen. „Es sind viele Probleme, die uns hier beschäftigen.“ Wenn es darum gehe, Mitarbeitende für den sozialen Bereich zu gewinnen, dann wollen viele „nicht mehr am Wochenende arbeiten. Aber wie soll es dann gehen?“ Und wenn doch jemand einen Job annehme, dann sei es fast unmöglich geworden, eine passende, bezahlbare Wohnung im Umkreis zu finden. „Ich mache mir um die Zukunft der sozialen Arbeit richtig Sorgen“, so Gabriela Wolff weiter.
Beispielsweise die Schuldnerberatung beim Märkischen Sozialverein. In diesem Jahr sind bereits jetzt mehr Menschen zur Beratung gekommen als im gesamten Jahr 2021. Vergangenes Jahr habe es 239 Klienten gegeben, 2022 seien es bereits 295. Ralph Cufal von der MSV-Schuldnerberatung geht davon aus, dass es mit der möglichen kommenden Geldkrise noch sehr viel mehr Menschen werden. Ralph Cufal beklagt zudem fehlende Sensibilität, wenn es darum gehe, über Menschen mit hohen Schulden zu sprechen. „So lange, bis es einen selbst betrifft.“
„Was man wahrnimmt, ist eine Ohnmacht der Leute“, sagte der Linken-Politiker Sebastian Walter. Die steigenden Energie- und Gaspreise seien nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Wenn Politiker davon reden, dass man nur mal kalt duschen müsse, um Geld zu sparen, dann gehe das an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei, die schon jetzt jeden Monat kaum mit ihrem Geld auskommen und die schon jetzt im Winter nur wenig heizen würden. Er stellte fest: „Wir sind alle nur einen Schicksalsschlag von der Armut entfernt.“ Es könne ganz plötzlich jeden treffen. „Die Politik hat sicher zu stellen, dass Wohnungen nicht kalt bleiben.“ Die Leute selbst würden schon wissen, wie sie sparen können. Es gebe schon in normalen Jahren bis zu 20 000 Gassperren wegen nicht gezahlter Rechnungen. „Was wir brauchen, ist ein Gaspreisdeckel“, so Sebastian Walter in Oranienburg.
Liane Hoffmann von der MSV-Rechtsberatung brachte es auf den Punkt: „Unsere Klientel hat gar nicht das Geld, um Ritzen zu stopfen.“ Und das bereits jetzt. Ihre Klientel sitze nicht erst in kommenden Winter in einer kalten Wohnung, „unsere Klientel ist schon sehr abgehärtet. Und was jetzt kommt, das macht mir wirklich Angst.“ Aus Sicht des Landtagsabgeordneten Andreas Büttner müssen auch die Stadtverordneten und Gemeindevertreter einen Blick auf dieses Thema haben, wenn bei der Energie- und Wärmeversorgung kommunale Unternehmen im Spiel seien. Im Gegensatz zu Brandenburg habe das Land Berlin einen geschützten Wohnbestand.
„Ich verstehe die Wut der Menschen“, sagte Sebastian Walter. Er selbst habe als Landtagsabgeordneter nach fünf Jahren einen höheren Rentenanspruch als andere Menschen als 45 Jahren Arbeit. „Da läuft was schief.“ Verschlimmere sich die soziale Situation im Land, dann könne das demokratiegefährdend sein. In Richtung des Märkische Sozialvereins sagte er: „Wir brauchen Ihren Druck, Ihre Unterstützung und Ihr Fachwissen. Ich will, dass wir vor dem kalten Winter einen heißen Herbst haben.“ Die gebe andere politische Kräfte, die würden schon darauf warten, dass die Stimmung im Land explodiere und dies dann für ihre Zwecke nutzen. „Ich halte das, was hier passiert, für ein höheres Spaltungspotenzial als die Hartz-IV-Debatte“, so Sebastian Walter. Andreas Büttner wünschen sich einen „viel größeren Druck aus dem sozialen Bereich.“
MSV-Geschäftsführerin Gabriela Wolff ergänzte in Richtung Politik und der Umgang mit der drohenden Armut von noch mehr Menschen: „Das ist eine Frage der Arroganz und Überheblichkeit.“ Diese sei ein Zündstoff. Sie befürchtet zudem ein Wegbrechen der jetzigen Mittelschicht.
Auch die Beratung der Menschen werde schwieriger, wie Liane Hoffmann vom MSV sagte: „Weil immer mehr Leute psychisch angeschlagen sind. Sie kommen zu den Leuten nicht mehr durch.“ So sehr seien sie mitunter schon problembehaftet. Es würden immer mehr Menschen werden, die inzwischen psychisch beeinflusst seien, und sie würden vergessen werden.
Gabriela Wolff fasst zusammen: „Wir machen unsere Arbeit trotzdem sehr gern. Soziale Arbeit ist auch eine schöne Arbeit.“ Aber es müsse an den Rahmenbedingungen gearbeitet werden, damit sich die Lage verbessere. Die beiden Linken-Politiker haben versprochen, mit den Leuten vom Märkischen Sozialverein in Oranienburg in Kontakt zu bleiben. Zudem solle es im Herbst eine Art Sozialgipfel im Landtag geben.
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