Märkischer Sozialverein: Soziale Lage verschärft sich

Steigende Preise sorgen auch in Oberhavel dafür, dass viele Menschen immer ärmer werden – Wartezeiten bei der Schuldenberatung

MAZ Oberhavel, 31.7.2023

Oranienburg.
Es war der Sommer 2022, als wegen des Ukraine-Krieges die Preise noch weiter in die Höhe stiegen. Strom, Gas, Lebensmittel – alles ist teurer geworden. Beim Märkischen Sozialverein (MSV) in Oranienburg ist deshalb ein Anwachsen der Armut befürchtet worden.

Ein Jahr danach sind die Preise – trotz Energiepreisbremse – immer noch hoch. Wie bewertet man beim MSV inzwischen die Situation? Für viele Menschen, bei denen das Geld sowieso schon knapp gewesen sei, habe sich das Leben im vergangenen Jahr weiter zugespitzt, sagt Gabriela Wolff, die Geschäftsführerin des Märkischen Sozialvereins.

Ein Knackpunkt sei die Mietnebenkostenabrechnung. Die für 2022 komme erst jetzt, in der zweiten Jahreshälfte 2023, oft zum Ende des Jahres. „Spätestens dann muss Hilfe angeboten werden“, sagt Ralph Cufal von der Schuldenberatung beim MSV. Denn zu diesem Zeitpunkt, wenn eventuell ein besonders großer Batzen Geld nachgezahlt werden muss, könnte es bei vielen Menschen kritisch werden.
Hinzu komme, so Ralph Cufal weiter, dass oft ein Dispositionskredit abgezahlt werden müsse, „wo die Leute nicht mehr wissen, wie viel Geld ihnen tatsächlich zur Verfügung steht“, sagt er. Auch der Schuldenberater selbst sieht mit Sorge, wie hoch die Lebensmittelpreise teilweise sind. „Das ist oft nicht mehr nachzuvollziehen. Die Menschen machen sich darüber Gedanken.“

„Leute, die noch ein bisschen finanziellen Spielraum haben, die kürzen den Urlaub“, sagt Gabriela Wolff. Das führe beispielsweise dazu, dass Kinder in finanziell schlechter gestellten Familien öfter in Ferienmaßnahmen untergebracht seien, „weil sich die Eltern keinen Urlaub mehr leisten können.“ Es werde an den Dingen gespart, die nicht unbedingt nötig seien – andererseits sei es aber wichtig, dass Kinder mit ihren Eltern auch im Urlaub Zeit verbringen würden. Es gebe vermehrt Ängste in der Bevölkerung, wie es weitergehe, so Gabriela Wolff weiter.

Hinzu komme eine zu befürchtende Altersarmut „die enorm zunehmen wird“, so die MSV-Geschäftsführerin weiter. „Die Rentenbescheide stellen für viele Menschen massive Einschnitte dar. Man macht sich Sorgen, wie man finanziell über die Runden kommen soll. Das wird für viele Leute, die fleißig gearbeitet haben, später ein Problem.“

Ob seit dem vergangenen Jahr mehr Menschen zur Schuldenberatung kommen, sei nicht ganz genau zu beziffern, weil der Märkische Sozialverein bestimmte Kapazitäten habe, so Ralph Cufal. „Aber die Wartezeit ist länger“, sagt er. Sie betrage derzeit schon mal vier Wochen. Man brauche für jeden Klienten Zeit. „Wir können nicht jeden Tag fünf Beratungen geben. Es gibt eine Reihe von Anträgen, die haben Sie nicht in einer halben Stunde ausgefüllt“, erklärt Liane Hoffmann, die beim MSV für die rechtliche Beratung zuständig ist.
„Über die Armut, die Sie teilweise in den Haushalten sehen, darüber redet keiner“, sagt Gabriela Wolff. „Da ist die Wohnstube einfach leer, da herrscht gähnende Leere. Ein kuscheliges Zuhause haben diese Leute nicht.“ Oder man müsse an die Leute denken, die sehr wenig Geld haben. „So manche Mutti schwitzt jetzt, weil sie bald Schulmaterial kaufen muss. Die schwitzen Blut und Wasser. Schließlich sollen und müssen die Kinder mit allem bestückt sein, was sie für die Schule brauchen. Aber das ist richtig teuer. Das mag man sich gar nicht vorstellen.“ Es gebe Kinder, die nur ein einziges paar Schuhe hätten.

Ein großes Reizthema sei auch die Versorgung mit Wohnraum, so Liane Hoffmann. „In Berlin müssen 1300 Wohnungen bereitgestellt werden für Wohnungsnotfälle“, erklärt Ralph Cufal. Das sei schwierig umzusetzen, und in Oberhavel sei das ebenso problematisch. Mieten würden immer teurer, neue Wohnungen entstehen – auch in Oranienburg – meist im teuren Segment.

Die Verlierer der Inflation, die mit Beginn des Ukraine-Krieges im Winter des vergangenen Jahres stark angezogen habe, seien vor allem Alleinerziehende. „Da strömt es überall auf die Leute ein“, sagt Gabriela Wolff. „Benzin, Fahrkarten, Lebensmittel – alles ist teuer geworden.“ Vielleicht sei das immer noch ein Jammern auf hohem Niveau, aber es gebe viele Dinge, die von den Menschen als sehr ungerecht empfunden würden.

Was auch fehle, sei eine allgemeine Sozialberatungsstelle. „Manchmal kommen die Leute mit Themen zu uns, bei denen wir beim MSV nicht helfen können“, sagt Ralph Cufal. Es müsse aus seiner Sicht eine Stelle geben, wo man erst mal hingehen könne, um zu schauen, worin das Problem liege und wie es gelöst werden könne.

Und eigentlich müsste auch der Märkische Sozialverein wachsen – der Beratungsbedarf sei vorhanden. „Wenn der Fördertopf wachsen würde, könnten wir auch wachsen“, so Liana Hoffmann. Allerdings sei es auch schwieriger, Menschen zu finden, die sich in so einem Verein engagieren und Zeit investieren wollen. Klar ist: Die Zeiten werden nicht besser.

Schon 2022 hatte es Liane Hoffmann von der MSV-Rechtsberatung auf den Punkt gebracht: „Unsere Klientel hat gar nicht das Geld, um Ritzen zu stopfen.“ Das sei schon vor 2022 so gewesen. Ihre Klientel sitze nicht erst seitdem im Winter in einer kalten Wohnung, „unsere Klientel ist schon sehr abgehärtet. Und was jetzt kommt, das macht mir wirklich Angst.“ An dieser Einschätzung habe sich auch jetzt, 2023, nichts geändert.

Kontakt per Telefon zur Schuldenberatung beim Märkischen Sozialverein in Oranienburg: 03301/6 89 69 30.


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