Willis Mundpropaganda: Making of

Drei Männerpaare und ein Frauenpaar, die sich küssen. Nicht, weil sie sich lieben oder so. Aus Protest! In der MAZ in Oberhavel, auf der „Willi“-Seite betreiben wir am Donnerstag Mundpropaganda, eine Aktion gegen Homophobie. Und das kam so:

Vor der Bundestagswahl 2013 war die Homoehe eines der ganz großen Themen – auch weil sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Wahltalk dagegen ausgesprochen hatte.
Im Dezember teilte jemand auf Facebook die Mundpropaganda-Aktion der Zeitschrift GQ. Männliche Promis wie Herbert Grönemeyer und August Diehl oder die Beachvolleyballer Jonas Reckermann und Julius Brink waren zu sehen, wie sie sich küssen. „Gentlemen gegen Homophobie“ war das Motto. Das fand ein großes Echo.
Gleichzeitig ist die Aufmerksamkeit auf Russland gelenkt worden. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi sorgte Präsident Putin mit einem Anti-Homosexuellen-Gesetzt für Wirbel.
Im Januar begann der Turbel um Thomas Hitzlsperger. Der Ex-Fußball-Nationalspieler hat sich als schwul geoutet, und das war das große Thema. Obwohl es ja oft heißt, alle sollten doch so leben, wie sie halt sind, redeten alle drüber. Weil es eben doch was Besonderes ist.
Im Januar war dann klar: Irgendwas zu diesem Thema möchte ich machen, und ich erinnerte mich an die Mundpropaganda. Die GQ hatte dazu aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Ich schlug das Thema vor und bekam grünes Licht. Na, denn los.

Wer sollte ich daran beteiligen? Sportler sollten dabei sein. Musiker, vielleicht Lehrer, auch Schüler. Ich begann, mich umzuhören und Kontakte aufzunehmen.
Ein Kollege nahm Kontakt mit dem Oranienburger Handballclub auf. Der Verein ist der zuschauerstärkste im Landkreis Oberhavel und hat deshalb eine große Breitenwirkung. Der Trainer der ersten Männermannschaft fand die Idee der Mundpropaganda gut und trug sie in die Mannschaft.
Nach einigem Hin und Her kam dann die Zusage zweier Spieler.
Das Fotoshooting fand in der Sporthalle des Louise-Henriette-Gymnasium statt. Bevor das Training begann, standen wir auf der Zuschauertribüne, um die Fotos zu machen. Die beiden Spieler haben das alles ganz cool und fröhlich gemeistert. Und von den anderen Spielern sind auch angefeuert worden („mit Zunge!“), Applaus gab es auch. es war dennoch keine Spaßaktion, denn die beiden hatten danach durchaus spannende Dinge zum Thema zu sagen.

Einige der Anfragen liefen über Facebook. Das hieß in einigen Fällen: warten. Es gab auch Leute, die sie komplett ignoriert haben. Da wollte ich dann auch nicht weiter nachhaken, sie haben sicher Gründe gehabt. Andere sagten, sie hätten keine Zeit.

Ein Kollege brachte den Gedanken ins Spiel, dass wir uns in einem Punkt von der GQ-Aktion unterscheiden sollten: Bei uns könnten doch auch zwei Frauen mitmachen. Er brauchte nicht lange, um mich davon zu überzeugen, und mir ist recht schnell auch jemand eingefallen.
Die Landesschülersprecherin von Brandenburg, mit der ich an anderer Stelle auch schon mehrfach zu tun hatte, wollte im Facebook-Chat noch genauer wissen, worum es geht, sagte dann aber gleich zu.
Wir trafen uns im Oranienburger Runge-Gymnasium. Auf dem Kussfoto mit einer Vereinskollegin sieht man im Hintergrund das Peace-Zeichen. Ist gut geworden!

Auch Jungpolitiker wollte ich für die Aktion gewinnen. Den Co-Chef der Linken in Oberhavel kannte ich bereits durch einen früheren Artikel. Ihn sprach ich an, er sagte relativ schnell zu. Bedingung: Er wollte keine Wahlwerbeaktion daraus machen und den Kuss mit jemandem machen, der nicht in seiner Partei ist. Also hörten wir uns anderswo um, in der SPD stellten sie eine entsprechende Anfrage ins interne Internetforum, und tatsächlich meldete sich jemand bei uns.
Das Linke-SPD-Kussfoto entstand in Hohen Neuendorf. Das Besondere hier: Die beiden Küsser trafen sich dort zum allerersten Mal. Im Gegensatz zu den anderen kannten sie sich nicht. Eigentlich sollte der Wasserturm im Hintergrund zu sehen sein, aber fotomäßig war er leider zu unscheinbar. Nun ist die Himmelspagode auf dem Bild, sieht als Kulisse sehr schön aus.

Bei Lehrern an einem der Oranienburger Gymnasien hatte ich es auch versucht. Einer hatte eine schlüssige Begründung, warum er nicht mitmachen wollte. Wir haben recht lange darüber gesprochen. Ein anderer hat schlicht „Nein“ gesagt und ist dann weitergegangen. Muss man akzeptieren.

Ein Musiker sollte auch dabei sein, er hatte auch schon zugesagt. Am vorletzten Tag kam jedoch die Absage. Krank und Klausur. Das vierte Foto war aber schon rein layoutmäßig notwendig, und drei Fotos hätte ich auch zu wenig gefunden. Ich startete gemeinsam mit einem Kollegen eine Blitz-Umfrageaktion auf Facebook. Ich bekam die Zusage von zwei jungen Männern einer Oranienburger Band, mit der ich auch schon zu tun hatte. Wir trafen uns auf dem Gelände des Oranienburger Oranienwerks – und dann kam schon der Kuss und der Knips.

Wir sind extrem gespannt, wie diese Aktion wahrgenommen wird. Ich fand es jedenfalls spannend, dass alle Teilnehmer gute Begründungen hatten, warum sie mitmachen. Einer der Jungpolitiker sagte, dass die Gesetze zur Gleichstellung der Homosexuellen besser geworden seien, aber sich die Gesellschaft teilweise zurückentwickele. Alle hatten den Eindruck, dass sich vieles gebessert habe, von einer Normalität aber nicht gesprochen werden könne.
Es geht um eine gute Sache, letztlich ist es nur ein Kuss. Mutig finde ich es trotzdem, dass sie mitmachen.

Eigentlich sollte es im Artikel selbst gar nicht darum gehen, ob die Leute auf den Fotos schwul, lesbisch, bi oder sonstwas sind. Es sollte schlicht kein Thema sein, weil das ja genau der Punkt ist: Es ist wurscht, wie man ist. Es ist wurscht, wen man liebt und welche Präferenz in uns drin steckt. Dass es nun zumindest ansatzweise doch ein Thema ist, liegt am Votum mehrerer Kollegen. Sie meinten, die Wirkung sei stärker, wenn man wisse, dass die Leute auf dem Foto nicht schwul seien, man es aber auf dem ersten Blick denke. Ich sehe das anders. Am Ende ist es ein Kompromiss geworden.

Ich danke an dieser Stelle jedenfalls allen, die mitgemacht haben, natürlich dem Fotografen, allen, die geholfen und Ideen beigesteuert haben und denen, die mich ermutigt haben, das alles durchziehen. Nun ist’s vollbracht.


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