China (11): Schingschong

In Chongqing verlassen wir die „Anna“. Und das ganz zünftig. Eine Blaskapelle spielt, als wir mit unseren Taschen zum Ufer laufen, „The River Kwai“ (bei uns bekannt als Werbemelodie „Komm doch mit auf den Underberg“). Unsere Koffer haben wir aus den Händen gegeben. Wie wie erfahren haben, darf die Anna-Crew nicht die Koffer raustragen. Denn sonst würden sie von den Kofferträgern von Chongqing verprüfelt. Eine echte Chongqing-Kofferträger-Mafia. Hoffentlich geht das gut. Denn unsere Koffer werden wir erst wieder in unserem Hotel zu Gesicht bekommen.

Chongqing ist riesig. Doppelt so groß wie die Schweiz. Hier leben 32 Millionen Menschen. Obwohl natürlich getrickst wird: Erst vor einigen Jahren wurden zig Tausende Gemeinden und Städte eingemeindet. In der Stadt selbst leben rund 7 Millionen Menschen.
Chongqing ist die größte Autostadt der Welt, u.a. hat sich hier Ford mit einem Werk angesiedelt.
Die Stadt erlebt pro Jahr 120 Sonnenstunden. Das ist nicht viel. Die Kessellage. Sie, und sicher nicht nur die, führt dazu, dass die Stadt regelmäßig unter einer Dunstdecke liegt. Ständig ist es neblig. Die Sonne ist nur durch einen Schleier zu erahnen.

Besuch der Markthalle. Für uns gewöhnungsbedürftig – wie so einiges in China. Am Straßenrand sitzen neben einem Stand Hühner, Enten und Hasen. Die Beine wurden ihnen gebrochen, so dass sie sich nicht mehr fortbewegen können. Sie vegetieren vor sich hin. Möchte jemand zum Beispiel ein Huhn kaufen, wird es vor Ort getötet. Der Hals wird aufgeschlitzt, dann wird es in einen Bottich geschmissen. Und so weiter. Für Vegetarier bieten sich hier unzählige Argumente.
In der Markthalle selbst gibt es so ziemlich alles: Gewürze, Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, und und und. Alles wird angefasst. Der Geruch ist heftig, stellenweise muss ich mir die Nase zuhalten, um mich nicht zu übergeben.

Beim anschließenden Essen bin ich zurückhaltender als sonst. Die Bilder von eben haben sich eingebrannt und ich kann nicht so ohne weiteres beim Chicken und dem anderen Kram zugreifen.

Chongqing hat relativ schnell einen Spitznamen weg: Karin fragte unseren Guide nach irgendeiner Begebenheit in „Chingqong“, worauf der natürlich ein wenig irritiert war.
Immer noch Chongqing (Schongtsching) und nicht andersrum. Deennoch – das Wort Schongsching hatte es uns angetan.

Die Altstadt von Chongqing ist zweigeteilt. Am Anfang ist das sehr ärmliche, wohin sich kaum Touristen verirren. Die Straßen und Häuser erscheinen noch sehr ursprünglich und irgendwie ist es mir als Touri fast ein bisschen unangenehm, hier durchzulatschen und die Leute hier zu belästigen.
Dann geht man eine große Treppe runter – und schon begfindet man sich im Tourigewimmel. Es scheint unausgesprochenes Gesetz zu sein, dass an dieser Stelle eine Grenze zu sein scheint. Im „besseren“ Teil der Altstadt sind sehr viele Geschäfte und noch sehr viel mehr Leute.

Wir hörten davon, dass es am Abend auf dem Platz des Volkes einen Tanz gibt, wo sich viele Leute treffen würden. Das wollten wir uns natürlich ansehen. So richtig konnte ich mir darunter nichts vorstellen. Was uns da dann aber erwartete, war der abolute Hammer. Ich zumindest war erstmal sprachlos.
Es ist schwer zu erklären: Auf dem Platz stehen rund 400 Leute in einer Formation. Zur Musik, die aus vielen Lautsprechern kommt, tanzen sie. In Reih und Glied. Alle das gleiche, im gleichen Takt, die gleichen Bewegungen. Wie früher bei der „Medizin nach Noten“. Ganz vorne scheinen die „Vortänzer“ zu stehen, aber an sich scheinen die Tanz- und Bewegungsabläufe allen bekannt zu sein. Der Wahnsinn. Man muss es gesehen haben, um es zu begreifen.
Der Tanz geht bis genau 21.30 Uhr. Drei Minuten vorher bricht die laufende Musik ab. Die Brunnen am Rand des Platzes spulen eine Choreografie ab, es wird „Auld Lang Syne“ gespielt. Binnen Minuten leert sich der gesamte Platz. Die Lichter gehen nach und nach aus.
Geordneter Tanz, geordneter Rückzug. Nur so sind wahrscheinlich Millarden Chinesen überhaupt regierbar…

Fast hätten wir uns übrigens verlaufen. Ganz ohne Guide sind wir aus dem Hotel zu Platz des Volkes. Das ist alles nicht so einfach, wenn die Straßennamen in chinesischen Zeichen geschrieben sind, nur hin und wieder stehen auch englische Bezeichnungen drunter. Nicht umsonst sollte man in China nur mit entsprechenden Guides reisen.

Untergebracht sind wir in Chongqing im Hilton. Ich wohne in der 18. Etage und habe einen wunderbaren Blick auf die Stadt. ganz unten befindet sich die River-Bar. Um den Hotelgästen einen netten Abend zu bereiten, stehen auf einer kleinen Bühne zwei junge Mädchen, dahinter ein Typ am Klavier. Sie kommen von den Philippinen und treten sechsmal in der Woche (nur am Sonntag nicht) vier Stunden lang in der Bar auf und singen irgendwelche Songs. Von Abba bis Sinatra. Sie nennen sich The Sophisticated. Das ist uns zu schwierig, wir geben ihnen die Namen Sandy, Mandy und Andy. Oder auch SM-Andy.
Wie auch immer: Die drei haben einen Knochenjob. Sie singen vor nicht allzu vollem Haus. Die wenigsten hören ihnen wirklich zu. Schließlich will man sich ja unterhalten. Und das alles vier Stunden lang. Sechs Tage pro Woche. Hoffentlich bekommen sie wenigstens ordentlich Kohle dafür.

Auch im Hilton gibt es einen Internetraum. Die Sitzung dort gestaltete sich allerdings noch schwieriger als auf dem Schiff. Ständig schaltete sich die Schriftart auf die uns bekannte auf die chinesischen Zeichen um. Dann ging nichts mehr. Die Dame an der Rezeption musste mir das ganze wieder neu einstellen.

Sehr interessant ist das Stadtplanungsmuseum in Schingschong. Bis 2020 wird die Stadt weiter wachsen, unzählige Hochhäuser werden entstehen. Chongqing wird eine einzige Skyline darstellen. Was für ein Irrsinn. Auf einem riesigen Modell kann man sich die Stadt in dem Museum ansehen.

Beliebt in unserer Gruppe: die Harmoniepause. Wer weiß, was das sein könnte – einfach mal im Kommentar antworten.

Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist auch in Chongqing ziemlich krass. Einerseits die verarmte Altstadt, andererseits die schmucke Innenstadt. Das Zentrum könnte ohne weiteres in einem westlichen Land sein. Alle Marken sind vertreten, die Kaufhäuser drängeln sich aneinander. Auch der Chicken-Onkel (der KFC-Mann sieht aus wie Willy Millowitsch – ich sage es immer wieder!) und McDonald’s sind vertreten.

Das muss sein. Wann immer ich im Ausland bin, ein Besuch bei McDonald’s ist immer drin. Bei McDonald’s gibt es überraschenderweise keine englischen Bezeichnungen für die diversen Burger. Das hatte ich nicht so erwartet. Stattdessen legte mir das Mädchen hinterm Tresen eine Übersicht vor mir hin, und ich musste mit dem Finger zeigen, was ich denn haben möchte. Die Menüs kosten zwischen 2,50 und 3 Euro – also gut die Hälfte von dem, was man in deutschland zahlt. Für die Chinesen aber sicher noch ganz ordentlich. Ich gönnte mir einen Doppel-Cheeseburger und es würde sich bald zeigen, dass das eine gute Entscheidung war.

Gehe in China in ein Kaufhaus und du wirst sehen, dass Arbeitskräfte im Land der Mitte eher wenig kostet. Muss man in Deutschland oft nach jemandem suchen, der Auskünfte erteilen kann, passiert in China das Gegenteil. In jeder Abteilung, in jeder Ecke des Kaufhauses stehen drei bis vier Damen. Klar, sie langweilen sich tödlich, denn so viele Leute wie Bedienungspersonal gibt es nur selten. Sobald man den Pullover nur länger ansieht, kommt jemand und fragt irgendwas. Auf Chinesisch natürlich, woraufhin man nur Zeichen geben kann, dass man doch kein Interesse hat. Das ist ein bisschen viel Service…

Schnell noch in die Multimedia-Abteilung. Und gleich ein Schock: Ich finde Sandy nicht! Ihre CD ist unauffindbar. Ist Sandy etwa doch kein großer Star?
In der DVD-Abteilung findet man nur weniges aus deutschen Landen: „Lola rennt“ gibt es auch in China, ebenso wie die „Sissi“-Trilogie (Oder kommt die aus Österreich?).

Herbalife gibt es auch in China. An der Seilbahn, mit der man über den Yangzi gondeln kann, trafen wir eine Gruppe junger Chinesen. An Hemd pragte der Herbalife-Button. Haben die das wirklich nötig, wo die doch so geund leben?

Unser letzter Abend in China. Zum Abendbrot gab es deshalb etwas… sagen wir mal: anderes. Der Feuertopf soll aus Chongqing stammen. Klar, dass wir das mal probieren wollten. Auch der Feuertopf steht in der Mitte des Tisches. In der Mitte des Topfes ist eine scharfe Brühe, außen herum eine etwas mildere. Das Ganze wird ständig erhitzt.
Um den Topf herum stehen diverse Zutaten: rohes Fleisch, Fisch, Gemüse. Aber auch so tolle Sachen wie Rinderpenis. Nun ja.
Der Feuertopf funktioniert so ähnlich wie Fondue. Man schmeißt den ganzen Kram in die Brühe. Entweder in den scharfen oder den milden Teil. Mit einer Kelle holt man das dann am Ende wieder raus.
Mein Problem: Man kann sich natürlich nicht sicher sein, dass man auch das wieder rausholt, was ich reingeschmissen habe.
Nein, das war nicht wirklich etwas für mich. Nach drei Stücken Blumenkohl, einer kleinen Wurst und so einem fischigen Zeug war Schluss. Aber es war trotzdem spannend dabei zuzusehen. Und – wie gesagt – es war nicht dramatisch. Ich hatte ja schon den Doppel-Cheeseburger.

Mit Sandy, Mandy und Andy klang auch dieser Abend in der Hotelbar aus. Es ist schon weit nach Mitternacht. Uns bleibt nur noch wenig Schlaf. Schon um 5.45 Uhr wird mein Wecker klingeln, dann beginnt die rund 21-stündige Rückreise.


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