Politik ist sein Hobby

Der Sommerfelder Reiner Tietz (80) von den Linken ist Kremmens ältester Stadtverordneter

MAZ Oranienburg, 18.7.2019

Sommerfeld.
Auf seinem Schreibtisch liegt ein Foto, auf dem steht: „Reiner, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“ Er lächelt verschmitzt. Denn eigentlich hat Reiner Tietz genau das nicht vor: zu gehen. Der 80-jährige Sommerfelder hat noch einiges zu tun. Er ist Stadtverordneter in Kremmen, lange saß er im Sommerfelder Ortsbeirat. Er engagiert sich bei den Linken und in der Willkommensinitiative in Kremmen.
„Ja, zahlreiche Dinge habe ich schon zurückgefahren und mich ein wenig zurückgezogen“, sagt er. Aber gleichzeitig gibt es noch Projekte in Kremmen und den Ortsteilen, die er weiterverfolgen möchte. Wenn er aber auf sein Leben zurückblickt, dann sagt er: „Ich bin nicht unzufrieden mit meinem Lebenswerk.“ Auch wenn es in seinem Leben einen einschneidenden Bruch gab.

Reiner Tietz ist Magdeburger, er selbst sagt „Machteburger“. 1938 ist er dort geboren. „Wir haben direkt in der Stadt gewohnt, in einem alten Mietshaus.“ Sein Vater war Drogist, arbeitete in einem Chemiebetrieb, die Mutter war Kindergärtnerin. Er begann eine Berufsausbildung zum Chemiefacharbeiter und studierte später in Leipzig Ingenieur-Ökonomie-Chemie. „Ich kam dann ins Chemiewerk nach Coswig.“ Er betreute Brennöfen für Düngemittel und Schwefelsäureherstellung. „Das war mein Ding.“ Gleichzeitig zog es ihn aber in die Politik. Er war FDJ-Sekretär. Er wurde in Coswig Stadtverordneter, ging dann nach Berlin zur Parteihochschule. „Da studiert man Marxismus-Leninismus.“ Reiner Tietz lächelt wieder. „Die politische Arbeit hat mir Spaß gemacht.“ 1966 machte er sein Staatsexamen, war dann jahrelang im Zentralrat der FDJ. Er beschäftigte sich bald mit dem Staatsrecht und wurde 1975 Direktor des Staatsverlages. „Das war der Verlag in der DDR für juristische Literatur und populärwissenschaftliche Literatur.“
Die DDR habe ein ausgefeiltes, einfaches Rechtssystem gehabt. „Wir legten Wert darauf, dass die Bürger Bescheid wussten. Es ging uns um die Propagierung des sozialistischen Rechts – bis zur Wende.“ Die war für ihn ein Einschnitt. „Wir haben versucht, die Sache zu erhalten. Aber uns war klar, dass das nicht mehr möglich war. Dann setzte ein tiefgehender Lernprozess ein, auch bei mir persönlich. Wir haben eklatante Fehler gemacht und zu spät umgesteuert“, sagt er zum Umbruch 1989/90. Es sei zwar die Mitwirkung der Bürger propagiert, aber oft nicht wirklich umgesetzt worden.

Er hat den Wechsel von der SED zur PDS und nun zur Linken mitgemacht. „Wir mussten umlernen. Wir mussten überlegen, wie wir den Kern einer gerechten Gesellschaft vertiefen, deshalb bin ich Linker geblieben.“ Zur Wende war er 52. „Ich war auf dem Höhepunkt meines Schaffens.“
Er musste den Betrieb, den Staatsverlag, über die Runden bringen. „Es war klar, dass es keinen zweiten Staatsverlag geben würde, in der Bundesrepublik gab es ja schon einen.“ Bis 1991 war er Direktor bei dem Verlag, danach wechselte er zum Freiburger Haufe-Verlag, der in Berlin eine Außenstelle hatte. Bis 1996 war er dort. Ein Jahr lang war er arbeitslos, dann ist er in Rente gegangen.

Bis 1998 war er Berliner – eigentlich. Denn schon Anfang der 70er-Jahre entdeckte er Sommerfeld. Wegen einer Lungenkrankheit war er damals drei Monate in der Klinik und erkundete das Dorf. Er lernte den Nutzer des Grundstücks kennen, auf dem er heute lebt. „Wir blieben auch danach lange in Verbindung. Als er ins Altersheim ging, haben wir uns um das Grundstück beworben.“ Familie Tietz bekam den Zuschlag und hatte nun ein Gartengrundstück. Nach der Wende konnte sie es kaufen und baute dort ab 1997 ihr Haus. „Vorher waren wir in Berlin-Marzahn in einem kleineren Plattenbau.“ Ein günstiger Kredit machte es möglich – sie bauten in Sommerfeld ihr neues Heim und zogen ganz raus ins Dorf.

Ziemlich schnell begann dann seine politische Arbeit in Oberhavel. „Damals gab es in Sommerfeld noch eine Gemeindevertretung, da waren zwei oder drei Linke drin, die habe ich unterstützt.“ Bald wuchs er in die politische Arbeit rein, war von 1998 bis 2002 im Kreisvorstand der Linken in Oberhavel, von 2000 bis 2002 Vorsitzender. 2003 wurde er Abgeordneter des Kreistages und in der Kremmener Stadtverordnetenversammlung.
„Es war mir wichtig, weil ich dokumentieren wollte, dass ein Sozialist in der Lage ist, für die Leute etwas zu tun.“ Musste er sich für seine Vergangenheit je rechtfertigen? „Nicht direkt.“ Er schmunzelt. „Aber es gibt von manchen Leuten indirekte Spitzen“, sagt er. „Aber ich höre darüber hinweg.“

Kremmen ist ihm wichtig. „So wesentlich hat sich nichts verändert, und das ist gut.“ Man müsse die langfristige Entwicklung der Stadt im Auge behalten. „Es muss mehr Wirtschaftsansiedlung passieren.“ Mehr Wirtschaft bedeutet mehr Einwohner, „daran reiht sich die Bildungslandschaft.“ Die Schule müsse in Trägerschaft der Stadt Kremmen bleiben, so Reiner Tietz. Dazu der Neubau für die Feuerwehr, „und der Straßenzustand muss verbessert werden.“ Beim Klubhaus müsse eine Entscheidung fallen, die machbar sei. Aus seiner Sicht müsse ein Investor her.
Wenn man ihn fragt, ob noch Zeit für Hobbys ist, schmunzelt er wieder. Alles, was er mache – das seien seine Hobbys. Außer vielleicht noch: sein Grundstück. „Das will ja in Ordnung gehalten werden.“ Er ist seit 1968 verheiratet, hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. Anfang des Jahres musste er entscheiden, ob er weiter machen wolle in der Politik. „Meine Frau hätte es lieber gesehen, wenn ich ausgestiegen wäre“, sagt er. Aber andere hatten ihm signalisiert, dass er weiter gebraucht werde. Das freut ihn. Rückblickend sagt er: „Ich habe nicht sinnlos gearbeitet. Es gab einen starken Einschnitt nach der Wende, aber ich habe auch danach nicht den Kopf hängen lassen.“ Das will er auch weiterhin nicht tun.


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