Kondome spielten selten eine Rolle

Nils (23) hatte fast immer ungeschützten Sex. Vor einem Jahr erfuhr er, dass er das Aidsvirus hat

MAZ Oranienburg, 4.7.2013

ORANIENBURG
Als der Anruf von der Ärztin kam, da wusste Nils* schon Bescheid. Ihm war alles klar. Ein paar Tage vorher hat er in Berlin Blut gespendet, nun müsse er noch mal kommen, es sei etwas dabei rausgekommen, was er nur im persönlichen Gespräch erfahren würde. Nils ist HIV-positiv. Der 23-Jährige weiß es seit dem Sommer 2012.
„Das war ein schlimmer Moment“, sagt er. Als er dann nach Berlin fuhr, nahm ihm die Ärztin noch mal Blut ab, aber das Ergebnis stand fest. Nils hat das Virus der Immunschwächekrankheit. Ihm droht Aids. „Die Ärztin hat noch irgendwas erzählt, dann bin ich gegangen“, erinnert sich Nils. Erst draußen, auf der Straße, da kamen ihm die Tränen, da hat er geheult.

Woher er das Virus bekam, weiß Nils nicht. Klar ist nur, es muss fünf bis sechs Monate vorher passiert sein, das hat der Test auch ergeben. Nils sagt, dass er ungefähr alle zwei Monate Dates mit Männern hatte. Auf den Chatplattformen Jappy oder Gayromeo lernt er sie in der Regel kennen. „Man chattet, dann trifft man sich.“ Meistens in Berlin, aber auch schon mal bei ihm zu Hause, damals wohnte er noch in Oranienburg. „Wenn’s passt, läuft was.“
Er hat nicht aufgepasst, sagt Nils heute. Aber das trifft es nicht genau. Nils überlegt einen Augenblick, bevor er weiterredet. Er ist davon ausgegangen, dass er beim aktiven Analsex keine Angst vor Körperflüssigkeiten und Ansteckung haben muss. „Nur wer beim Sex passiv ist, bekommt das Sperma in sich hinein.“ So dachte er. So hat er das in einschlägigen Foren gelesen. Deshalb haben Kondome bislang auch nur selten eine Rolle gespielt. „Heute denke ich: Hättest du nur mal verhütet.“ Man lerne aus Fehlern.

Aufgeklärt worden über die Übertragung von Aidsviren sei er in seiner Schule in Oranienburg nie, sagt er. Was er wusste, hatte er sich im Internet angelesen. Und er setzte auf das Vertrauen gegenüber den Fremden. „Ich dachte, wenn’s einer hat, dann ist er ehrlich und sagt mir das vorher. Ich habe mich darauf verlassen.“Einen seiner Sexpartner hatte Nils in Verdacht, ihn angesteckt zu haben, er sprach ihn an. „Aber er hat mir versichert, dass er es nicht war, dass es nicht von ihm kommen kann.“ Zu den anderen hat Nils keinen Kontakt mehr. Später hatte er einen festen Freund. Zu dem Zeitpunkt, als Nils erfuhr, dass er das Virus hat, waren sie zwei Monate zusammen. Zwei Monate, in denen auch sie ungeschützten Sex hatten. „Er hat dann auch einen Test gemacht, ich hatte totalen Schiss, dass er sich angesteckt hat.“ Aber der Freund hatte Glück. „Ich kann nicht ausschließen, dass ich in der Zeit, wo ich noch nicht wusste, dass ich HIV habe, jemanden angesteckt habe“, sagt Nils nachdenklich. „Zwei oder drei Dates waren da noch.“

In der schwulen Szene gehe der Trend immer mehr weg von der Verhütung, hat Nils beobachtet. „Den meisten macht es ohne Kondom mehr Spaß“, sagt er. Heute, wo die Sterberate in Aids-Fällen sehr viel geringer sei, gingen viele Menschen auch wieder gedankenloser an den Sex heran.

Nils hat sich mit 19 als schwul geoutet. Die Familie und die Freunde nahmen es locker. Damals hatte er seinen ersten Freund. Über die HIV-Nachricht waren viele erschrocken. Seine Familie hat es nach und nach erfahren. Der Vater blieb erstaunlich ruhig, die Schwester war schockiert, konnte es nicht fassen. „Mein bester Kumpel ist heute noch skeptisch und hat Schiss“, erzählt Nils. „Wenn er mir die Hand gibt, zum Beispiel.“ Dabei ist das ungefährlich, so lange keine offenen Wunden da sind. Was Dates mit Männern angeht, ist er ruhiger geworden, und er spielt mit offenen Karten, sagt, was Sache ist. „Viele haben da gar nicht so das Problem mit.“ Nun verhütet er. Immer. Dennoch hat sich sein Leben sehr verändert. Oft denkt er drüber nach, wie es weitergehen soll. Noch muss er keine Medikamente nehmen, dafür sind die Blutwerte zu gut, aber das kann sich irgendwann ändern. Angst davor, zu sterben, hat er nicht. „Die Medizin ist ja schon recht weit fortgeschritten.“
Aber trotzdem: Wenn er heute noch mal 18 wäre, liefe vieles anders, da ist sich Nils sicher. „Ich würde mich damit auseinandersetzen, was passieren kann, wenn ich nicht verhüte, und welche Konsequenzen das alles hat.“

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