China (9): Glaubens-Disneyworld

Wir verbringen viele glückliche Stunden auf der „Anna“ während wir den Yangzi von Yichang nach Chongqing entlang schippern. Und weil das so ist, gibt es an Bord im „Yangtze-Club“ gleich mehrere Happy Hours am Tag. So gibt es heute den ganzen Tag (!) Maitai und Black Russian für 25 RMB – das sind etwa 2,50 Euro. Bei der „Bloody Mary Zeit“ kostete selbiger bis zum Mittagessen (!!) 30 Prozent weniger als normalerweise. Wer vorm Mittag Bloody Mary braucht, hat das auch sicher dringend nötig. Von 17 bis 19 Uhr gibt es schließlich für alle Getränke 30 Prozent Ermäßigung. Auf der „Anna“ bleibt also niemand trocken (zumindest was die Getränke angeht). Wie meinte Florian so schön: „Nach der Happy Hour ist vor der Happy Hour!“

Und wieder zeigt uns die Anna-Crew ihr Können. Diesmal wird uns eine echte Cabaret-Show geboten. Tänze der chinesischen Minderheiten, Gesang, Instrumentales. Dafür, dass das alles keine Profis sind und sonst nur für unser Wohlbefinden da sind, eine erstaunliche Leistung. Und als Kreuzfahrtdirex Dick Frankyboys „My Way“ anstimmt, lauscht der ganze Saal andächtig zu.
Okay, nur die eine Engländerin war sichtlich gelangweilt. Aber die scheint man sowieso mit Nichts zufriedenzustellen. Hoffentlich hat sie wenigstens nachts mit ihrem Ollen Spaß. Alles andere wäre bitter. Für sie.

Die Show endet mit einem Tanz, bei dem das Publikum eingeladen wird, mitzumachen. Ganz beliebtes Ding. Manchmal würden an dieser Stelle die Türen des Clubs abgeschlossen, erzählt der Moderator vorher. Und Florian meinte, manchmal stimme das sogar. Denn der Raum leert sich merklich. Die Lust, sich auf der Bühne zum Deppen zu machen, ist eher gering. Dabei sieht das eigentlich ganz lustig aus – und der Kelch ging an mir auch vorüber.
Aber großen Respekt an Ulrike und Sven: Nach der Nummer tanzten die beiden weiter. Vor dem Restpublikum, das gebannt auf die Bühne schaute. Die beiden waren nämlich inzwischen allein. Und am Ende gabs Applaus von allen.

Und wieder hatten wir den Club für uns. Sandy lief inzwischen in der Rotation. Der Club-DJ hatte sich die CD leich kopiert und ins Programm aufgenommen. So kam Sandy immer mal wieder zum Einsatz.
Das reichte uns aber nicht. Da musste mehr her. Glücklicherweise hatte ich auch einige CDs mit. Unter anderem die, die auch auf Rügen zum Einsatz kam. So wurde im Barsaal auf der „Anna“ auf dem Yangzi in China auch DJ Ötzi gespielt („Einen Stern“), Nena/Pocher/Remmler („Ich kann nichts dafür“) und natürlich die Höhner mit „Viva Colonia“ (Wir waren uns kurz unsicher, ob wir draußen den Yangzi oder den Rhein sehen.).
So kam auch Radiopilot zu der Ehre, auf einem chinesischen Flusskreuzfahrtschiff gespielt zu werden. Gerade haben die Jungs ihren Plattenvertrag unterschrieben – schon erste Erfolge in China. Natürlich wurde auch diese CD kopiert. So werden Radiopilot und Co. auch in Zukunft Annas Gäste erfreuen.

Unterdessen schipperten wir an Badong vorbei. Badong – was für ein Name. Wir spekulierten: Die Stadt war so hässlich, dass der Architekt ganz sicher – Badong!! – eins vor die Rübe bekommen hat. Daher der Name. Badong. Sehr schön.

Nachts auf dem Sonnen, äh Monddeck. Der Yangzi liegt im Nebel. Überall werden neue Brücken gebaut. Über den riesigen Fluss müssen es immer Megabrücken sein. Lang und hoch genug. Der Fluss wird schließlich bald ansteigen…

Montag. Ein neuer Morgen auf der „Anna“. Das Frühstück, so haben wir den Eindruck, wird immer deftiger. Es gibt gewürzte Bratkartoffeln und Würstchen. Unter anderem. Glücklicherweise auch normalen Toast und Obst.

Landgang in Fengdu, der Geisterstadt. In Fengdu ist der große Umbruch mit am besten zu beobachten. Am einen Ufer des Yangzi war einmal das alte Fengdu. Heute nur noch eine Wiese, auf der hier und da letzte Fundamente von Gebäuden zu sehen sind. Mehr ist nicht übrig geblieben. Auf der anderen Seite des Flusses steht das neue Fengdu. Groß und mächtig mit vielen Hochhäusern. Schön ist was anderes. Aber das scheint die Chinesen weniger zu stören.

Auf dem Ming-Berg befindet sich eine alte Tempelanlage, ein Tribut für den Kaiser der Unterwelt. Glücklicherweise liegt das Ganze so hoch, dass sie als Insel auch nach der Flutung überleben wird.
Der Tempel soll die Heimat der verstorbenen Seelen sein. Für die Chinesen heute mehr ein Wallfahrtsort als alles andere.
Hoch kommt man entweder über Hunderte Treppenstufen oder den Sessellift. Glücklicherweise hörte der Starkregen auf, als wir mit dem Lift nach oben tuckerten.
Vorher mussten wir uns erneut durch die Massen von Händlern schlängeln, die den Weg säumten. Die pure Armut. Dazwischen unsere lächelnden Crewmitglieder. Surreal.

Ganz ehrlich: Anfangs nervte der Trubel in den Tempelanlangen. Mit Ruhe und Besinnlichkeit hat dieses „Glaubens-Disneyland“ gar nichts zu tun. Da wird rumgeschrien, gerotzt, gelacht. Die Guides reden wild und laut durcheinander, teilweise sogar durch Mikrofone, gleichzeitig durcheinander. Da fasst man sich an den Kopf. Das geht auch besser und leiser. Wenn man denn nur will. Will aber offenbar niemand.
Am Ende ließen wir die anderen weiterziehen, bevor wir weiter die Tempel besichtigten – und hatten dann doch ein wenig mehr Ruhe.

Und auch hier die pure Freude bei unserem weiblichen Guide: Die Umsiedlungen würden eine Verbesserung gerade für die jungen Chinesen darstellen. Die seien froh über die neuen Lebensstandards. Sie erzählte uns das ungefragt – und es klang verdammt ähnlich nach dem, was uns Mark vor zwei Tagen erzählte. Einstudiert eben. Und langsam fällt es auch dem Letzten auf. Die Chinesen sollten vielleicht doch noch etwas bessere PR-Arbeit leisten.


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