Willkommen bei Carmen Nebel

Wenn Al Martino gesungen hat, sollen wir alle aufstehen. Ganz spontane Standing Ovations. Der Warm-Upper der großen Eurovisionsshow versucht, das Berliner Publikum auf das kommende Highlight einzustimmen. Gleich geht es los: „Willkommen bei Carmen Nebel“. Live im ZDF und im ORF 2. Gesendet am Sonnabendabend aus dem Velodrom.

Die uns willkommen heißende Carmen Nebel (ihr Spitzname soll „Nebelkrähe“ sein) hat sich noch nicht blicken lassen. Erst pünktlich zum Beginn der TV-Übertragung taucht sie auf.

Ohne die Musik vom Band geht nichts. Semino Rossi playbackt seinen Hit „1000 Rosen für dich“. Carmen Nebel läuft zu dieser Zeit am Kulissenrand hin und her. Langweilt sie sich? Wundern würde es mich nicht. Der Warm-Upper schunkelt uns etwas vor. Fast allein. Dem Publikum ist nicht nach Schunkeln. Die Kabelhilfe sieht grinsend ins Publikum.

Innerhalb von nur einer knappen halben Minute wird Mary Roos‘ Bandkram aufgebaut. Das geht fix, denn irgendwas anstöpseln muss man ja für ein Playback nicht. Mary singt „Mein Sohn“. Den hat sie auch schon auf dem Hennigsdorfer Stadtfest besungen. Danach müssen Mary und Carmen erst mal ein bisschen heulen. Musste Mary in Hennigsdorf auch schon. Alles Show?

Eine Reihe hinter uns wird getuschelt: „Is dit langweilig!“

Claudia Jung darf ihre Tochter Anna in die Kamera schieben. Das sind dann sicher die Prominenten, die sich aufregen, wenn eine Boulevardzeitung ihr Kind knipst.

Bald ist Fußball-WM. Warum nicht mal einen Fußballsong schmettern, denkt sich Frank „Weihnachten in Familie“ Schöbel. Macht ja sonst niemand. „Fußball ist rund wie die Welt“ bringt sogar den Kameramann dazu, mitzusingen. Das Idol aller besten Familienfeiern der 80er und 90er ist auch da: Roger Witthaker. Damit er weiß, in welche der vielen Kameras er gucken muss, bekommt er Orientierungshilfen. Eine Regieassistentin winkt ihm immer zu und zeigt auf die richtige Kamera.

„Was ist schöner als ein Musical?“, fragt Carmen und antwortet gleich selbst: „Zwei Musicals!“ Falsch, Carmen. „Kein Musical“ wäre richtig gewesen. Oder: das Ende der Sendung. Es ist 22 Uhr und wir langweilen uns tödlich.

Während die Moderatorin den neuen Stadl-Chef Andy Borg interviewt, wird die bereits vorbereitete Marshall-und-Alexander-Kulisse wieder abgebaut. Ohne, dass sie aufgetreten sind. Krank? Keine Lust? Zu wenig Gage?

Al Martino unterbrach sein Rentnerdasein, um zum 12 151. Mal „Volare“ zu playbacken. Das Band dazu scheint nicht aus dem 21. Jahrhundert zu stammen. Als Al durch ist, erhebt sich das Publikum. Die Zuschauer zu Hause müssen ja nicht wissen, dass das abgesprochen war. Andererseits: Wir sind froh, auch mal aufstehen zu dürfen.

Dann ist es endlich vorbei. Nur zehn Minuten überzogen. 145 Minuten reichen aber auch. Die Nebel verschwindet. Sie hat es weder nötig, das Saalpublikum vorher zu begrüßen, noch es nach der Show zu verabschieden. Das Privileg haben nur die Fernsehzuschauer. Das „Willkommen“ gilt nur für die Kamera. Nicht nett, Carmen!


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Kommentare

Eine Antwort zu „Willkommen bei Carmen Nebel“

  1. flimmern.

    haha. danke. hab mich beim lesen köstlich amüsiert.

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