Überraschungsevent (18): Das Missverständnis

(17) -> 15.1.2018

Der Startschuss fiel im April 2016: Einmal im Monat wollen wir uns gegenseitig überraschen. Und immer darf der andere nicht wissen, wo genau wir hingehen werden – erst vor Ort wird das Geheimnis gelüftet. Der Termin muss beim anderen natürlich abgefragt werden, alles andere nicht. Die Preisgrenze liegt bei 30 Euro. In diesem Monat durfte ich das Event planen, im März ist sie dran.

Das Schöne an diesen Überraschungsevent ist ja, dass man auch, selbst wenn man es selbst organisiert, selbst überrascht werden kann. So war es auch diesmal.
Als wir vor dem Deutschen Theater in Berlin-Mitte standen, fiel mir auf: Ich war dort noch nie. Ich war dort weder jemals drin, noch stand ich jemals auf dem Platz, auf dem das Theater steht. Das war mich sehr erstaunt, weil ich ja eigentlich die meisten Ecken von Berlin kenne – aber die Gegend westlich der Friedrichstraße und nördlich des Schiffbauerdamms ist irgendwie für mich eine tote Gegend. Ich kenne mich dort nicht aus.

Wir sahen in den Kammerspielen des Deutschen Theaters das Stück „Das Missverständnis“ von Albert Camus.
Es war ein sehr bemerkenswerter Abend.

So wird der Inhalt beschrieben: „In einem abgelegenen Wirtshaus rauben zwei Frauen die Gäste aus und bringen sie um. Ihr Ziel: mit der Beute an einem anderen Ort ein besseres Leben anzufangen. Sohn und Bruder Jan ist seit vielen Jahren in der Welt unterwegs. Als er eines Tages nach Hause zurückkehrt, gibt er sich nicht zu erkennen, sondern will erkannt werden. Zu spät erst wird das Duo entdecken, wen sie dieses Mal ums Leben gebracht haben.“

Am Ende wissen wir nicht genau, ob es uns gefallen hat – aber irgendwie hat es uns gefallen, und irgendwie waren wir am Ende sogar ein bisschen begeistert.
Das Bühnenbild: sehr aufwendig. Das Wirtshaus ist ein unaufgeräumter Ort, überall liegt Stroh, es sind unfassbar viele Requisiten auf der Bühne verstreut.
Die Sprache: anstrengend. Niemand spricht normal, alle sprechen sehr gestelzt. Es scheint, als ob das wortwörtlich eine andere Sprache übersetzt worden. Wenn ich nicht vorher nachgelesen hätte, hätte ich gar nicht gewusst, worum es ging. Aber irgendwann hört man sich rein.
Der Sound: Das Theater hat eine tolle Tontechnik. Wenn sie wollen, können sie echte Suround-Technik einsetzen. Man hört die ganze zeit Meeresrauschen und Möwen und immer wieder Klaviertöne.
Die Musik: Immer zwischendurch gibt es laut Musikstücke, als Unterbrechung des Stückes. Irgendwie gut.
Die Schauspieler: ganz groß.

Das Fazit: Normalerweise hasse ich es, wenn Stücke so aufgebaut sind, dass man sie nicht versteht. Und hier ist es so, dass vieles „in Bildern“ dargestellt wird. Man muss das Gesehene irgendwie übersetzen. Stirbt jemand, tut er das nicht, in dem er stirbt. Er geht in eine Ecke und wickelt sich selbst ein. Davon gibt es viele Beispiele, und erst später, wenn man über das Stück redet, fällt einem vieles auf.
Am Ende ist das Stück sehr fesselnd, sehr spannend, und die außergewöhnliche Atmosphäre sorgt sowieso für eine große Faszination.
„Das Missverständnis“ ist Hochkultur, man versteht nicht alles. Aber in diesem Fall ist das irgendwie nicht schlimm, im Nachhinein denkt man nach und erzählt man darüber. Und eigentlich ist es das Beste, was einem ja passieren kann. Dass man angeregt wird, nachzudenken, sich auszutauschen.


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