Sea Of Love (2): Ein Funke hätte genügt

(1) -> 17.7.2011

Anders kann es nicht gewesen sein: Der Veranstalter rief seinen Praktikanten zu sich und sagte: Du, morgen fängt doch das Sea Of Love an, organisier das doch mal und mache es so komplizioert wie möglich!
Als wir am Sonnabendvormittag in unserem Zelt erwachen, knallt nicht nur die Sonne gnadenlos drauf – das „Sea Of Love“-Festival hat auch schon seinen ersten Polizeieinsatz erlebt. Wegen der chaotischen Einlassszenen an der Messehalle, rief der Veranstalter die Polizei.

Unser Plan für den Tag: die Innenstadt von Freiburg besuchen. Dort in ein Café, und dort auf die Toilette. Ich habe keine Lust, mich stundenlang am Klohäuschen anzustellen. Denn natürlich herrscht auch dort wieder Chaos.
Laut unseren Unterlagen fährt in die Stadt ein Shuttlebus. Wo, das ist die Frage. Aus den Hinweisen auf den wenigen Schildern werden wir nicht schlauer. Wir fragen einen Ordner, der mitten auf dem Weg rumsteht. Der zuckt mit den Schultern: Shuttlebus in die Innenstadt? Da weiß er nix von. Fragt mal den Typen da vorne. Wir fragten den Typen da vorne. Von einem Shuttlebus in die Innenstadt weiß er nichts. So was gibt es nicht, sagt er. Wir sind uns da aber ganz sicher. Wir sollen mal da lang gehen, da fahren alle Shuttlebusse.

An der Bushaltestelle stand eine riesige Menschentraube. Wir fragten einen Ordner… ach, lassen wir das. Kein Ordner wusste was über einen Innenstadt-Shuttlebus, und überhaupt, was wollen wir denn in der Innenstadt?
Schließlich nahmen wir den Linienbus.

Freiburg hat eine sehr schöne Innenstadt. An den Straßenrändern fließen kleine Bächlein, am Münster war eine Hochzeit, und bei der Bursen-Galerie haben sie irgendwie einen Buchstaben zu viel angebracht. Ach ja, und im Café waren wir auch – und so weiter.

Unterdessen fanden wir heraus: Vom Hauptbahnhof aus fährt der Festivalshuttle. Erkannt haben wir das nicht etwa an entsprechenden Schildern. Es gibt keine Schilder. Wir erkennen ihn an der Menschenmasse, die dort wartet. Und daran, dass plötzlich ein Bus mit der Aufschrift „Sonderfahrt“ auftaucht.
Wir also nichts wie rein. Wir wollen noch mal zum Zelt, bevor wir dann weiter zum Festivalgelände weiterfahren.

Der Bus fährt los. Er ist voll. Es ist eng. Es ist heiß. Die Fahrt führt … am Campinggelände vorbei. Wäre ja auch so einfach gewesen. Also: Planänderung. Weiter geht’s zum Festivalgelände.
Der Bus fährt. Und fährt. Und fährt.
Als wir am Vormittag an der Linienbushaltestelle standen, liefen an uns einige Leute vorbei, die zum Festivalgelände laufen wollten. Man habe ihnen gesagt, es gehe immer die Straße lang, am Ikea vorbei.
Der Bus fährt immer noch. Zehn Minuten. Elf. Zwölf. Inzwischen sind wir auf einer Schnellstraße. Wir befürchten, dass das Konzert in der Schweiz stattfindet. Die fahrt will nicht enden.

Die Fahrt endet in Hochdorf. Ein Ortsteil eines Ortsteils von Freiburg. 15 Minuten vom Messegelände entfernt. Wie lange läuft man denn da? Was für ein Irrsinn.
Wir verlassen den Bus und laufen durchs Dorf. Wir laufen weiter durch einen Tunnel. Habe Duisburg im Kopf. Tunnel sind irgendwie doof. Weiter geht’s über eine schmale Feldstraße. Immer weiter. Rechtskurve. Linkskurve. Wandertag.

Wir erreichen das Festivalgelände am Tunisee. Vor dem Eingang gibt’s was zu Essen und zu trinken. Nichts davon darf man jedoch mit reinnehmen. Alle Getränke werden den Leuten abgenommen. Gnadenlos. Nach anderen Dingen werden die Gäste nicht kontrolliert. Hauptsache die Getränke. Schließlich will der Veranstalter Geld verdienen.
Auf den anderen Seeseite stehen die Bühnen. Eine steht in einem Zelt, die Befestigungen auf dem Boden sind echte Stolperfallen. Komsich, was der Tüv in Baden-Württemberg so alles freigibt.

Der Bühnenmoderator entschuldigt sich für die Panne beim Einchecken am Freitagabend. Man habe einfach nicht damit gerechnet, dass schon am ersten Tag so viele Leute anreisen würden. Er meint das ernst. Tja, blöde Sache. Da kommen doch die ganzen bescheuerten Leute schon am ersten Tag zum Festival. So was aber auch. Darauf kommt ja nun wirklich niemand.
Zweite Ansage: Wer zu den Abendveranstaltungen in der Messehalle will, muss entweder früh los oder ein Garantieticket für 3,50 Euro kaufen. Sonst kommt man nicht rein. Unser teures Festivalticket ist also für den Arsch. Ich weiß schon jetzt, dass wir Underworld in der kommenden Nacht nicht erleben werden. Wir entschließen uns, dem Veranstalter für sein Versagen keine weiteren 3,50 Euro in den rachen zu schmeißen. Die Behauptung, dass man doch gewusst haben muss, dass das Festivalticket nicht für die Nachtkonzerte gilt, ist Unsinn. Schließlich warb man mit Moby und Underworld, ohne darauf einzugehen, wann und wo die beiden Acts auftreten.

Unterdessen trat Paul Kalkbrenner auf. Er stellte sich an den Pult und legte los. Leider muss ich sagen: Ich finde den Typen und seine Musik unfassbar langweilig. Seelenloses Gehämmere. Erst als „Sky And Sand“ erklingt, sein großer Hit, jubeln alle.

Ich will was trinken. Neben der Bühne steht eines der Zelte. Ich bestelle ein Radler, halte den 10-Euro-Schein hin. Ich habe das Glas fast in der Hand, da meint die Frau, sie nehme kein Bargeld, ich brauche die Wertkarte, und die gibt’s da hinten. Und schon bedient sie den nächsten.
Ich möchte kotzen. Von Wertkarten wusste ich nichts. Den Fyler, wo das drin steht, habe ich nie gesehen.
Erst will ich mich weigern und durstig bleiben. Später entschließe ich mich, mir doch die Wertkarte zu holen. Sie kostet 10 Euro. Was für eine Schikane. Wer am Ende noch Geld übrig hat, bekommt es irgendwo am Eingang zurück. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Leute das Restgeld sausen lassen.
Ich kaufe eine Cola und ein Spezi für je 4 Euro. Das ist happig. Es kommen je 1 Euro Pfand hinzu. Die 10 Euro sind also weg. Ich bekomme zwei Pfandmarken. Die muss ich mitabgeben, wenn ich die Flaschen zurückbringe.
Ich trinke aus, und will die Flaschen wegbringen. Ich reiche die Flaschen rüber, die Pfandmarken auch. Der Mann hinterm Tresen nimmt sie und reicht mit Pfandchips. Die könne ich entweder wieder einlösen oder ich bekomme das Bargeld am Ausgang. Ich fasse es nicht. Offenbar soll alles so kompliziert wie möglich sein, damit die Leute möglichst überall abgezockt werden können. Ich schmeiße ihm seine scheiß Pfandchips auf den Tresen und gehe.
Wer übrigens was Essen will, der muss bar bezahlen. Denn an den Imbissen werden die Wertmarken nicht akzeptiert.

Bevor Moby um 21.30 Uhr auftreten sollte, gab’s die nächste Ansage: Die Garantietickets für die Nachtkonzerte an der Messe würden nun verschenkt, hieß es. man bekomme sie am Eingang.
Das Kalkül: Die Leute sollen schon jetzt nach und nach loslaufen, damit nicht 20.000 Leute auf einmal zum Bus gehen. Außerdem haben vermutlich eher wenige Leute die zusätzlichen 3,50 Euro bezahlen wollen.

Moby. Der Hammer. Da kann man nichts sagen. Moby ist das einzige wirkliche Highlight des Wochenendes. Leider spielt er nur knapp 80 Minuten, dafür aber ausschließlich ältere Hits des Albums „Play“. Eine geile Party.

Sie endet um 22.55 Uhr. Das ist der Moment, wo zehntausende Leute aufbrechen. Und nur mit den Shuttlebussen will der Veranstalter die vielen, vielen Leute zur Messe fahren. Zum laufen ist es zu weit. Und wir haben auch keinen blassen Schimmer, wo wir hinlaufen müssten.

Wir laufen im Dunkeln zurück übers Feld. Dann stockt’s. Die Masse staut sich an einer Kreuzung. Die Masse muss durch den engen Tunnel. Immer mehr Leute kommen von hinten. Die Masse drückt. Wir entschließen uns, auf die Weide nebenan auszuweichen. von dort aus beobachten wir das Chaos. Ordner sind nicht zu sehen.
Neben uns steht Anja. Anja und ihr Mann waren vor einem Jahr bei der Love Parade in Duisburg. Sie waren im dortigen Tunnel. Und nun stehen sie wieder vor einem Tunnel, und wieder drängen Menschenmassen durch.
Anja erzählt, dass sie auf einem anderen Campingplatz untergebracht sind, weil der eigentliche überfüllt war. Der Ticketpreis ist der Gleiche. Toiletten gab es zunächst nicht.
Wer plant so etwas? Was sind das für Dilletanten? Wir sind entsetzt. Und niemand da, der was macht.
Die ersten Leute klettern durch die Büsche den Hügel hinauf zur Autobahn. Oben, an der A5, taucht Polizei auf. Wie es heißt, laufen da schon die Vorbereitungen zur Vollsperrung der Autobahn. Die Leute werden wieder nach unten geführt.
Wir auch bei der Love Parade liegen Bauzäune am Wegesrand. Schlimme Stolperfallen. Ein Funke, irgendein Zwischenfall hätte genügt, um…

Nach und nach zwängt sich die Masse durch den schmalen Tunnel. Auch wir laufen irgendwann los. Am Tunneleingang ist eine Sperre aufgebaut. Polizisten regeln den Durchgang. Warum es keine Lautsprecherdurchsagen gab, ist unklar. Das hätte die Situation entschärft.
Mit einem mulmigen Gefühl laufen wir durch den unbeleuchteten Tunnel – und stehen bald im nächsten Stau. Diesmal am Shuttlebus. Tatsächlich ist es das Konzept, die tausenden Menschen mit Bussen zur Messe zu fahren. Zwei Stunden dauert es insgesamt, bis wir im Bus sind.

Auf dem Zeltplatz herrscht reges Treiben. Überall sind die Organisationspannen die großen Themen. Eher zufällig entdecken wir, dass am Rand des Geländes ein zweites Toilettenhaus steht. Nirgendwo war das ausgeschildert.
Und was wäre eigentlich gewesen, wenn irgendwo ein Brand ausgebrochen wäre? Hier und da hängen Feuerlöscher an den Laternen. Einige sind unbenutzbar, wie sich herausstellt. Kontrolliert werden sie offenbar nicht.

Underworld, der zweite Act, weswegen wir überhaupt nach Freiburg kamen, findet ohne uns statt. Ohne das Garantieticket gibt es keinen Einlass. Unser Festivalbändchen ist wertlos. Wie wir später erfahren, ist die Halle halbleer, als Underworld auftritt. Es ist zum kotzen.

Sonntag. Es regnet. Es regnet stark. Wir wollen abreisen. Das haben wir schon am Vortag beschlossen, ich wollte keinesfalls noch einmal auf das Festivalgelände kutschiert werden. Auch wenn da Tiesto und David Guetta angekündigt waren. Ich hatte schlicht keinen Bock mehr auf den Dillettantenstadl.
Im Regen bauten wir ab, ich holte das Auto vom aufgeweichten, schlammigen Parkplatz. Die Ausfahrt ist aufgeweicht, fast fahre ich mich fest.
Zum Einpacken darf man nicht auf den Parkplatz des Campinggeländes, vor dem Tor herrscht erneutes Chaos.

Wir verlassen das beschissenste Festival aller Zeiten. „Sea Of Love“ war der größte anzunehmende Reinfall.
Die Polizei und die Stadt machen dem Veranstalter unterdessen schwere Vorwürfe. Auflagen seien nicht erfüllt worden, Sperren standen an falschen Stellen. Es gab zu wenige Ordner, die von nichts wussten. Es gab kein Trinkwasser, vom Ticket- und Campingchaos gar nicht zu sprechen. Das ganze Festival habe am Sonnabend kurz vor dem Abbruch gestanden, so schrieb die Badische Zeitung. Auch, dass die Zusammenarbeit mit dem Veranstalter nicht fortgesetzt werde. Allerdings – das Freiburger Ordnungsamt hat bei dem Festival wohl auch alle Augen zugedrückt…

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Kommentare

5 Antworten zu „Sea Of Love (2): Ein Funke hätte genügt“

  1. Bea

    Adventure-Urlaub 🙂

    Liest sich herrlich 🙂

  2. RT

    😉

  3. Stefan

    Hallo
    erstmal herzlichen Dank zu deinem guten Augenzeugenbeitrag. Ich als Ex-Brandenburger und Wahl-Freiburger wohnen nur 100m von der Messe Freiburg entfernt und habe das Chaos als Anwohner schon Freitag nachmittag mitbekommen. und mir war damit klar, das ich dieses Jahr sicher nicht zur Sea of Love gehen würde, obwohl ich bis Freitag Mittag noch mit dem Gedanken gespielt hatte zumindest am Samstag für einen Tag vorbeizuschauen. Es tut mir sehr leid für alle Festivalbesucher die so verascht wurden und die nun Freiburg sicher in negativer Erinnerung behalten werden. Ich kann dazu nur sagen das ich selbst mal als Aushilfe für eine Veranstaltung dieses Veranstalters gearbeitet habe und das Organisatin leider noch die die Kernkompetenz dieses Unternehmens war. Weder in kleinen als noch in großen Veranstaltungen. Die Perfektionierung von Abzockmethoden zur Gewinnmaximierung zählte da eher dazu. Was anderes lässt sich erwarten von einem Veranstalter mit abgebrochenem VWL-Studium :-).
    Wer ein schönes Festival zu einem fairen Preis sehen will, dem empfehle ich das dieses Jahr zum letzten Mal stattfindende Summer Spirit Festival in Niedergörsdorf bei Jüterbog -> http://www.summer-spirit.de/ Da gibt es vielleicht nicht so viele große Headliner, dafür wird dem Nachwuchs eine Chance gegeben und es gibt eine transparente Orga und faire Preise.
    Merke: nicht alles was teuer ist ist gut und nicht alles was billig ist ist schlecht :-).

    In diesem Sinne, mein Mitgefühl für alle die durch die SoL negative Erfahrungen machen mussten!

  4. Desi

    Es ließt sich einfach herrlich.
    Ich bin so froh dass ich im letzten Moment meine Karten noch verkauft habe, da ich keine Möglichkeit mehr hatte hinzukommen.
    Mir Tut es unendlich leid für die ganzen Besucher.
    Eigentlich sollte ein solches Festival zum feiern und tanzen veranstaltet werden, aber wenn man einmal an der Geldspritze hängt, kommt man so schnell nicht wieder davon los (zumindest nicht so Jemand wie Herr Gurath)
    Ich für meinen Teil hoffe, dass die SOL entweder neue Veranstalter bekommt oder gleich ein neues Festival, dass diesmal aber von einem Veranstaltern die wissen was sie tun like I-Motion

    Liebe Grüße Desi

  5. RT

    Momentan siehts ja so aus, dass die Stadt Freiburg nicht mehr mit diesem Veranstalter zusammenarbeiten will.

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