Lieber eine Gitarre als 1000 Streicher

Dieter Schleip komponiert Filmmusik und hat dafür bereits viele Preise gewonnen. Meike Jänike und Robert Tiesler trafen den 48-Jährigen in München.

MAZ – Die Märkische, 26.6.2010

MAZ: Draußen scheint die Sonne und es ist sehr heiß. Herr Schleip, wie würden Sie den heutigen Tag vertonen?
Dieter Schleip: Heiter und auch langsam. Langsam und entspannt.

Sie haben die Musik für etliche Filme geschrieben und sind vielfach ausgezeichnet worden. Aber selbst Filmfreaks kennen Ihren Namen oft nicht. Ist Ihnen das bewusst?
Schleip: Ja, das ist mir sehr bewusst. Die Leute achten erst auf die Musik, wenn sie mich kennen. Verwandte, Freunde, da fängt es an, dass sie ein Ohr dafür entwickeln. Viele denken, Filmmusik machen heißt, eine CD zu suchen und die dann einfach abzuspielen.

Und wie funktioniert es wirklich? Gibt es zuerst den Film oder die Filmmusik?
Schleip: Wenn der Film fertig geschnitten ist, bekomme ich die Version ohne Musik nach Hause. Es gibt aber auch Regisseure, die zunächst Layoutmusik benutzen.

Layoutmusik?
Schleip: Ja, sie nehmen irgendwas von der CD und legen Musik auf die Szene. Damit die Redakteure, wenn sie sich den Film angucken, keinen Schreck bekommen und sagen, dass die Szene langweilig ist.

Das heißt also, in der Rohfassung sind oft ganz andere Titel zu hören?
Schleip: Ja, völlig andere. Von John Williams („Jurassic Park“) zum Beispiel oder Jerry Goldsmith („Poltergeist“, „Star Trek“). Das ist dann die Messlatte. Und sie sagen, so was möchten wir auch.

Lassen Sie sich davon beeinflussen?
Schleip: Ich sage immer: Ihr nagelt euch fest. Wenn ein Regisseur Orchestermusik will und hat gar kein Budget dafür, dann kann das nur in die Hose gehen. Mein Motto ist: Lasst mich, dann gucken wir mal.

Wie wichtig ist es für Sie, sich in die Stimmung der Szene hineinzuversetzen, die Sie vertonen wollen?
Schleip: Das ist das Ein und Alles. Es ist genau diese Transformation: von den Bildern in die Emotion, die da ist – oder vielleicht auch nicht da ist. Dann muss ich sie herstellen können mit der Musik. Das ist genau der Punkt, das ist mein Beruf.

Entsteht die Musik immer zu Hause oder komponieren Sie auch mal direkt bei den Dreharbeiten am Set?
Schleip: Nee, also am Set habe ich nicht wirklich was verloren. Es ist für mich als Komponist immer komisch, zu einem Drehort zu gehen, weil mich dort keiner kennt und jeder denkt: „Wer is’ dat denn?“ Aber der Regisseur kommt und umarmt mich. Deshalb gehe ich gar nicht so gern dorthin und bleibe lieber im Hintergrund. Erst wenn der Film geschnitten ist, gucke ich ihn mir an und fange an zu arbeiten.

Wie gehen Sie dabei vor? Szene für Szene?
Schleip: Das hängt davon ab, wie viel Zeit ich habe. In der Regel gucke ich mir den Film einmal an. Jeder Film hat eine Schlüsselszene. Der Kern, darum geht es. Wenn ich eine Idee habe, wie ich den knacken kann, dann habe ich einen Ansatz. Dann schnackelt’s. Wenn’s nicht schnackelt, ist es schlecht.

Kommt es auch vor, dass Ihre Filmmusik abgelehnt wird?
Schleip: Ja, und das ist das Allerschlimmste. Sonst wäre das ein Traumberuf. Dass einzelne Stücke abgelehnt werden, kommt eigentlich bei fast jeder Produktion vor.

Wirklich?
Schleip: Ich habe etwa 160 Filme gemacht, und ich kann mich an zwei erinnern, die ohne Korrekturen durchgelaufen sind. Ist wenig, finde ich. Hat auch damit zu tun, wie viele Leute an einer Produktion beteiligt sind. Man hat den Regisseur, den Redakteur, den Produzenten. Manchmal ist da noch eine Schwiegermutter dabei. Und die reden alle mit.

Und sagen Sie selbst auch mal nein?
Schleip: Ja, öfter.

Was sind die Gründe?
Schleip: Ich hatte im Herbst eine Kinoproduktion, so ähnlich wie „Indiana Jones“. Die konnte ich mir vorher angucken. Und da habe ich dann gesagt: Ja dann, viel Glück. Absolut nicht meine Baustelle. Ich lass es halt sein, wenn es Sachen sind, mit denen ich nichts anfangen kann. Zu viel ablehnen darf man natürlich auch nicht.

Mit Regisseur Alexander Adolph aber haben Sie schon mehrmals zusammengearbeitet, zuletzt für den Horrorfilm „Der letzte Angestellte“, der nun auf dem Münchner Filmfest läuft. Diese Arbeit war doch sicher nervenaufreibend. Wie stimmen Sie sich da ein?
Schleip: Das geht auch über die Bilder. Wenn ich eine Großaufnahme von einem Typen sehe, der sich beide Augen aushackt, dann weiß ich schon, woher der Wind weht. Ich muss das ja nicht selbst erlebt haben, um die Angst, die das verbreiten soll, mit der Musik zu erzeugen. Wenn die Musik überhaupt Angst verbreiten soll. Es kann ja auch sein, dass der Regisseur das gar nicht will. Die Szene habe ich so geknackt, dass ich die schlimmen Bilder mit einer schönen Orchestermusik vertont habe. Dieser Gegensatz bringt für mich genau die Spannung, die mich interessiert.

Im Film „So glücklich war ich noch nie“ sitzt Devid Striesow in seiner Rolle als Hochstapler im Taxi und erzählt vom Knast. Der Zuschauer hört dazu heitere Klaviermusik. Lieben Sie solche Brüche?
Schleip: Ja, ich mache das gerne. Ich finde nichts langweiliger, als wenn man eine Verfolgungsjagd sieht und die Musik trommelt noch mit. Ich finde es viel interessanter, wenn man böse Sachen sieht und ich komponiere dazu eine etwas süße Musik. Dadurch passiert was beim Zuschauer. Der merkt das natürlich nicht, dass ich da manipuliere, wie sonst was. Aber dadurch kriegt die Szene so einen Dreh, den finde ich gut. Einfach die Sachen, die man sowieso sieht, zu verdoppeln, das interessiert mich nicht.

Sie haben früher oft große Orchester eingesetzt, jetzt arbeiten sie eher minimalistisch und lassen auch mal die Stille sprechen. Wie kam es dazu?
Schleip: Ich reagiere stark auf die Bilder. Wenn ich die Szenen sehe und mir denke, alles was groß ist, wäre falsch, dann weiß ich: das Orchester kannst du streichen. Bei „So glücklich war ich noch nie“ dachte ich an eine Spieluhr. Oder vielleicht kam auch Regisseur Alexander Adolph auf die Idee, das will ich ihm jetzt nicht wegnehmen (lacht). Jedenfalls habe ich probiert, eine Spieluhr nachzubilden, so wurde es von Hause aus ziemlich klein.

Und das hat Ihnen gefallen …
Schleip: Ja, weil bei vielen Filmen – speziell im Fernsehen – habe ich das Gefühl, da erklingen 500 Instrumente, meistens aus dem Computer, und dann denke ich mir: Nee, dann spiel’ ich lieber nur eine Gitarre und kann damit mehr Emotionen erzeugen, als mit 500 Hörnern oder 1000 Streichern vom Band.

Also keine Töne aus der Konserve, sondern die Musik selbst mit der Gitarre entwickeln?
Schleip: Das bringt den Spaß. Ich meine, wenn eine Produktion kommt und sagt, wir haben das Budget für ein Orchester, dann mache ich auch Orchester. Wenn’s zum Film passt. Ich finde es halt nur daneben: Einer macht einen kleinen Film und legt eine Riesenhollywoodmusik drauf. Da sage ich: Das passt doch überhaupt nicht. Ich habe für mich herausgefunden: Mit einer Gitarre kann ich mehr Gefühle wecken als andere mit einem ganzen Orchester.

Haben Sie sich das Spielen auf der Gitarre auch selbst beigebracht, so wie das Komponieren?
Schleip: Ja, ich komme aus einer Familie, wenn ich da gesagt hätte, ich will Musik studieren, hätten sie mir den Vogel gezeigt. Mir blieb nichts anderes übrig, als mir eine Parallelwelt zu schaffen. Ich hatte eine normale Welt, wo man alles machen muss: Schule, Beruf und so. Meine Parallelwelt war die Musik.

Und daran haben Sie immer geglaubt …
Schleip: Immer. Ja. Ich hatte, glaube ich, so eine innere Stimme. Die hat gesagt: Mach’ nur immer weiter, dann schaffst du das.


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