Nach zwei Amtszeiten ist Schluss

Anke Domscheit-Berg aus Fürstenberg saß mehr als sieben Jahre für die Linken im Bundestag – sie äußert sich zur letzten und irrsten Sitzungswoche, zur Schuldenbremse, ihren Auszug und wie sie ihre Heimatstadt sieht

MAZ Oberhavel, 27.3.2025

Fürstenberg.
Dem neuen Bundestag, der am Dienstag erstmals zusammenkommt, gehört Anke Domscheit-Berg nicht mehr an. Die Fürstenbergerin war für die Linke mehr als sieben Jahre lang dabei. Sie entschied sich, nicht mehr anzutreten.

Der neue Bundestag kommt am Dienstag zusammen. Die Linke ist wieder als Fraktion vertreten, war sehr erfolgreich bei der Wahl. Ärgern Sie sich, dass Sie nicht mehr dabei sind?
Anke Domscheit-Berg: Dass die Linke gerade so stark ist, das macht das Gehen viel einfacher. Das, was ich aufgebaut habe, auch im Bereich Digitalpolitik, das liegt jetzt nicht brach oder war umsonst. Das wird jetzt weitergeführt von Leuten, die Leidenschaft und Ahnung haben. Wir waren 29, wir werden 64 sein. Da weiß man, es geht gut weiter.

Der Aufschwung kam erst in den letzten Wochen vor der Wahl. Wie erklären Sie sich das?
Da sind viele Dinge gleichzeitig passiert. Einmal die ganz krass auf ein Thema fokussierte Wahldebatte, das Thema Migration. Und es sind nicht nur gefühlt, sondern in echt eigentlich alle Parteien nach rechts gerutscht bei diesem Thema. Es gab nur noch eine einzige, die stehen geblieben ist. Für die gibt es aber Wähler und Wählerinnen. Die hatten, außer der Linken, keine mehr, wo sie das Gefühl haben, auf die können sie sich wirklich verlassen, die sind die Brandmauer im Bundestag.

Und was noch?
Es gab am Tag der entscheidenden Debatte eine Rede von Heidi Reichinnek, die Wellen geschlagen hat. Dass eine Rede in einer Woche 30 Millionen Mal gesehen wird, das hatten wir vorher noch nicht. Das ergänzt sich mit einem Personaltableau, das wir wirklich gut hingekriegt haben, auch mit den neuen Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken sowie mit Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Man hat, im Gegensatz zum BSW gezeigt: Wir haben nicht nur einen einzigen Kopf, wir haben mehrere.

Schlägt sich das in Oberhavel in Zahlen nieder?
Allein in Oberhavel sind wir, seit die Wagenknecht-Truppe ausgetreten ist, 142 Neumitglieder. Wir sind jetzt insgesamt jetzt 370. Also fast verdoppelt. Die haben einen Altersdurchschnitt von 31 Jahren.

Wie haben Sie die Sitzung am 18. März erlebt, als der alte Bundestag noch mal wegen der Grundgesetzänderung zusammenkam?
Es war die irrste Woche, die ich in siebeneinhalb Jahren hatte. So was habe ich noch nie erlebt, dass in einem derartigen Chaos, in einer derartigen Geschwindigkeit, mit derartiger Tragweite Dinge beschlossen werden. Alle meine Versuche, Informationen zu bekommen, sind gescheitert. Es gab ständig Änderungen, man wusste am Ende gar nicht, worüber man abstimmt. Aber wir haben von 1000 Milliarden Euro gesprochen. Ich finde, man konnte da nur mit Nein stimmen, weil man keine gute Entscheidungsgrundlage hatte.

Sie haben 86 Reden im Bundestag gehalten. Welche war die wichtigste?
Ich glaube meine allerletzte. In einer Aktuellen Stunde, nachdem Elon Musik mit Alice Weidel auf X gesprochen hat und er auf dem AfD-Parteitag zugeschaltet wurde. In der Rede sagte ich, dass wir aufpassen müssen, wie wir unsere Demokratie besser schützen, weil wir einerseits einen schon ins Diktatorische gehenden US-Präsidenten haben, der die Demokratie zerstört. An seiner Seite sind die Tech-Milliardäre, die alle einknicken. Auf einmal wird es für viel mehr Leute spürbar, wie gefährlich abhängig wir sind. Wenn wir alle von Microsoft Office abhängen – was ist, wenn wir keine Updates mehr bekommen? Sicherheitstechnisch haben wir dann offene Scheunentore, da kann uns jeder hacken.

Wie verläuft ein „Auszug“ aus dem Bundestag?
Das ist unfassbar stressig. Diese vier Wochen Übergang gibt es auch, damit man geordnet ausziehen kann, wenn man nicht wiedergewählt wurde oder nicht wieder angetreten war, so wie ich. Aber wir hatten jetzt trotzdem parlamentarische Arbeit, gerade da, wo man das Büro auflösen muss. Dadurch verzögerte sich mein Auszug erheblich. Wir hatten jetzt richtig hart Stress im Büro. Am 24. März mussten wir die Schlüssel übergeben, besenrein. Ich muss auch Akten sichern, viele Dinge muss ich aufheben, manche Dinge darf ich nicht aufheben. Und man muss Arbeitszeugnisse schreiben. Das ist aufwändig.

Warum haben Sie denn entschieden, nicht weiterzumachen?
Niemand sollte mehr als zwei Legislaturen machen. Ich glaube tatsächlich auch, dass es Menschen verändert, und nicht unbedingt zum Guten, wenn sie zu lange hintereinander im Parlament sitzen. Das meine ich nicht mal böse, weil ich glaube, man kann sich gar nicht dagegen wehren. Man hat zu wenig Kontakt zum Alltag normaler Menschen und man gewöhnt sich an Privilegien.

Zum Beispiel?
Wir können einen Fahrdienst nutzen, wenn wir in Berlin Termine schaffen müssen, was mit ÖPNV oft nicht machbar ist. Da kommt dann ein schickes, schwarzes Auto, und man steigt da hinten ein. Aber wenn es zu viele Anfragen gleichzeitig gibt, dann kommt manchmal auch ein stinknormales gelbes Taxi. Und ich habe mich schon mal dabei ertappt, wie ich rauskam, so ein gelbes Taxi sah und dachte: Mist. Genau so fängt es an, dass man sich an Privilegien gewöhnt.

Nur diese Gründe?
Ich will einfach auch wieder mein normales Leben leben, weil: Du arbeitest dich tot. Wir sind echt nah am Totarbeiten. Und ein paar arbeiten sich buchstäblich tot. Ich hatte zwei Burn-outs in der Zeit. Oder wenn man zwei Wochen Dauerschwindel hat, das macht einen wahnsinnig. Dann kam Corona, der Terminplan wurde leerer. Das hat mich wieder kuriert.

Wie hat sich die Stimmung im Bundestag in den sieben Jahren verändert?
Ich habe dort Sätze in Reden gehört, von denen ich nicht dachte, dass die im Bundestag gesagt werden können. Das war für mich kein Unterschied zu den 1930er-Jahren, so dass ich verstanden habe, wie es damals gekommen ist. Und ich habe das vorher nie verstehen können. Das hat Folgen. Worte haben Folgen, und das konnte ich auch erleben, wie man erst bedroht wird und irgendwann Menschen versuchten, mich anzugreifen.

Inwiefern?
Bei der letzten CSD-Demo in Oranienburg waren 40 rechtsextreme Gegendemonstranten, die meinen Namen skandierten. Ich musste danach mit Polizeischutz von Oranienburg nach Fürstenberg fahren. Und am Hitler-Geburtstag wollte ein Typ mich und meinen Mann angreifen.

Wie geht es mit Ihnen weiter?
Erst ausschlafen. Dann ausschlafen. Katze kraulen, Garten bestellen, meinen über 90-jährigen Papa besuchen. Freunde, Familie, das normale Leben mit normalem Alltag. Ich habe als freiberufliche Publizistin gearbeitet, das will ich wieder tun. Ich beschäftige mich weiter mit digitalpolitischen Themen.

Bleiben Sie Fürstenberg treu?
Unbedingt! Fürstenberg ist doch meine Heimat. Das ist ein wunderschöner Ort. Aber auch da sehe ich mit Beunruhigung, wie sich bestimmte Dinge entwickeln. Es gibt dort eine ganze Reihe sehr radikalisierte, rechtsextreme 13- und 14-Jährige. Da frage ich mich, sind die in drei Jahren Baseballschläger? Andererseits gibt es im Ort ein einmaliges zivilgesellschaftliches Engagement.

Und der Verstehbahnhof?
Ich habe total bedauert, auch für unseren mega-abgefahrenen Verstehbahnhof in Fürstenberg zu wenig Zeit zu haben. Wir haben inzwischen vier Locations, wo viele interessante Projekte und Workshops stattfinden von Kunst bis digitaler Bildung. Ich möchte mich darum kümmern, dass die Finanzierung besser wird.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert