Mord in Vehlefanz: Wie Otto Borowski 1932 durch die SA ums Leben kam

1968 wurde die Schule im Dorf nach ihm benannt – aber war er wirklich ein Freiheitskämpfer? – Der Historiker Gerd Kley hat recherchiert

MAZ Oberhavel, 18.11.2023

Vehlefanz.
Es war die Nacht zum 17. Oktober 1932, als in Vehlefanz ein Mord geschah. Noch heute erinnert daran ein Gedenkstein, er steht an der Eichstädter Chaussee zwischen der Autobahn und dem Ortseingang. Gewidmet ist er Otto Borowski. Er war 24 Jahre alt, als er mitten in der Nacht erschossen worden ist.

Der Schwanter Historiker Gerd Kley hat in den vergangenen Monaten zu Otto Borowski geforscht. Er wollte wissen, was sich eigentlich genau abgespielt hat und wie es dazu kam. Zu DDR-Zeiten und bis 1993 trug die alte Schule im Dorf den Namen Otto Borowski. Dort wurde er als Opfer des Faschismus geehrt, als Freiheitskämpfer. Aber inwiefern war er das? Die ganz genaue Geschichte dieses Mordes war bislang nicht bekannt.
„Ich bin in diversen Archiven gewesen“, erzählt Gerd Kley. Er sei im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, in Neuruppin und Spandau fündig geworden. Er hatte Einsicht in Prozessunterlagen und konnte Zeugenaussagen nachlesen.

Otto Borowski, 1908 in Ostpreußen in armen Verhältnissen geboren, war in die Gegend gekommen, um Arbeit zu finden und ein besseres Leben zu führen. Er war Landarbeiter und Kutscher bei einem Vehlefanzer Bauern. 1930 war er kurzzeitig Mitglied der Vehlefanzer KPD, beteiligte sich hin und wieder an deren Aktionen. Seine Freundin Marie aus Vehlefanz erwartete ein Kind von ihm. Er sei ruhig gewesen, selten politisch aktiv, sei nie in Schlägereien verwickelt gewesen.

In Eichstädt entwickelten sich in dieser Zeit zwei Gruppierungen. Das Dorf hatte sich in den 1920er-Jahren zu einem Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppierungen entwickelt. Die linken Sportler – „die Roten“ – hatten ihr Domizil in der Gaststätte „Zum alten Krug“. Rechte Sportgruppen – „die Blauen“ – trafen sich in der Gaststätte Seeger am nördlichen Ortsausgang. Nach und nach gesellten sich auch Nicht-Sportler dazu, die sich politisch dazugehörig fühlten. Immer wieder fanden „Deutsche Abende“ statt, gerade 1932 in Vorbereitung auf die Reichstagswahlen. Mehrfach gab es im Dorf regelrechte Verfolgungsjagden, Prügeleien, Messerstechereien. Zudem existierte ein Rittergut, das 1932 vom NSDAP- und SA-Mitglied Hans Riemann übernommen worden ist.

Was aber geschah in der Nacht des Mordes? Dazu habe es etwa 30 Zeugenbefragungen gegeben, sagt Gerd Kley. Otto Borowski und seine Frau feierten im Gasthaus Sauerbier in Eichstädt. Die Tanzveranstaltung sei hauptsächlich von „Linkskreisen“ besucht gewesen. Im Gasthaus Seeger fand parallel eine Feier der Rechten statt. Davor liefen SA-Leute in Zivil auf und ab, wie mehrere Zeugen festgestellt hatten. Damit es nicht zu einem Gewaltausbruch kam, wurde die Veranstaltung beendet.
Etwa 15 Leute machten sich auf den Weg nach Vehlefanz, darunter auch Otto Borowski und seine Frau. Die Gruppe traf auf einen Kutscher, von dem bekannt war, dass er Nationalsozialist war. „Auf den Vehlefanzer SA-Mann warten wir schon lange“, riefen einige aus der Gruppe. Der Kutscher habe sich bedroht gefühlt und fuhr zurück zum Gasthaus Seeger und informierte die anderen SA-Leute.
Kurt Weichsel – in SA-Uniform und Militärmantel – und ein Kamerad machten sich auf den Weg in Richtung Vehlefanz. In Höhe des Gutes Karlsruh verprügelten sie einen Mann, von dem sie annahmen, er sei Kommunist. Ein paar hundert Meter weiter verpassten sie einem anderen Mann einen Faustschlag.
Kurz vor Otto Bathes Windmühle – sie stand ungefähr dort, wo jetzt die Autobahn ist – erreichte Weichsel Otto Borowski und seine Frau. „Jetzt, ihr Kommunistengesindel, nieder mit euch“, hatte er gerufen. Borowski habe sich von seiner Frau losgerissen und ging auf Weichsel zu. Er habe einen Rest eines Spazierstockes in der Hand gehabt. Weichsel zog eine Pistole. Er streckte ihn aus unmittelbarer Nähe nieder, gab Borowski einen gezielten Schuss in die Brust. Am Boden liegend – seine Frau wollte ihn wieder aufrichten –, schoss Weichsel weitere Male. Borowski starb am nächsten Abend im Kreiskrankenhaus in Nauen. Weichsel sagte später in den Vernehmungen, er habe „in Notwehr“ gehandelt, es seien vier Männer aus Borowskis Gruppe mit Holzstöcken drohend auf ihn zugekommen. Die anderen Zeugen widersprachen dem, auch die SA-Leute. Tatsächlich kam es zum Prozess, der aber am zweiten Tag, am 21. Januar 1933, platzte. Als die Nazis dann am 30. Januar 1933 an die Macht kam, hatte sich der Prozess endgültig erledigt. Weichsel wurde für den Mord nie bestraft, er starb 1992 in Köln.

Aus der Dorfchronik vom inzwischen verstorbenen Chronisten Helmut Schönberg geht hervor, dass an der Vehlefanzer Schule 1968 die Aktion „Antifaschist gesucht“ startete. Man stieß auf Otto Borowski und fand ihn für würdig, ein Opfer des Faschismus zu sein. Die Schule erhielt seinen Namen, an der Eichstädter Chaussee wurde der Gedenkstein aufgestellt.
„Die Pioniere haben ihn damals als Freiheitsheld gefeiert“, sagt Gerd Kley. „Aber genau genommen handelte es sich um einen Zufallsmord.“

Über Otto Borowski, den Mord und den Prozess hat Gerd Kley eine kleine Broschüre zusammengestellt. Sie soll über den Heimatverein Vehlefanz erhältlich sein, Telefon 03304/522601, E-Mail: info@heimatverein-vehlefanz.de.


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