In der Jury: Einmal vorlesen, bitte!

Lesen ist für die Fantasie, was Sport für den Körper ist. So steht es im Klassenraum der Kremmener Goetheschule geschrieben, in dem der diesjährige Lesewettbwerb stattfinden wird. Lesen regt die fantasie an, und Vorlesen auch. Ich lese sehr gern vor, deshalb habe ich auch sofort zugesagt, als die Schulleiterin mich fragte, ob ich mich in die Jury des Wettbewerbes setzen möchte.

Es ist kurz nach 8 am Morgen. Ich bin zwar noch nicht wach, als ich den Bewertungsbogen studiere. Wir bewerten die Lesetechnik, die Interpretation und die Textauswahl. Wir sind zu acht in der Jury, darunter vier Schüler, zwei ehemalige Lehrer, ein Elternteil und ich.
„Ich bin aufgeregter als wahrscheinlich die Schüler“, sagt Lehrerin und Wettbewerbschefin Katharina Förste, bevor sie die Schüler reinlässt. Das große Gewusel beginnt. Die Stimmung ist geladen, die 13 Schüler, die vorlesen wollen, sind sichtlich nervös. Die Fünft- und Sechsklässler haben sich in ihren Klassen für diesen Ausscheid durchgesetzt.
Den Wettbewerb gibt es in Kremmen schon seit der Wende. Ermittelt wird ein Schulsieger, sowie aus den teilnehmenden Sechstklässler einen Gesamtsieger, der zum Kreisausscheid im Jahre 2014 fahren darf.

Ich bin gespannt, denn ich war noch nie Jurymitglied. Soll ich streng sein oder eher soft? Was kommt besser an? Der erste Kandidat liest auch einem Buch über den Fußballer Pelé. Ich linse auf den Zettel meiner Jurykollegin. Nur so als Orientierung. Natürlich schreibe ich nicht ab. Ehrlich!
In Runde 1 lese die Schüler aus Büchern, die sie besonders mögen. Sie konnten ihren Text vorher üben. Wir erleben Teilnehmer, die ihren Text einfach nur lesen, andere leben ihn. Als ein Mädchen aus „Gregs Tagebuch“ liest, meine ich, Greg selbst vor mir zu haben. Echt toll!
Wir erleben Monstergeschichten, sogar Mord und Totschlag, wir sind bei einem Pferderennen dabei und ermitteln mit den „Drei ???-Kids“.

Wieder schaue ich kurz auf den Zettel meiner Jurynachbarin. Moment mal: 4 plus 4 plus 5 Punkte sind 12 Punkte? Ich stupse sie an, deute auf den Zettel. Natürlich: Es sind 13! Nicht dass das Ergebnis am Ende noch verfälscht wird!
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die zu Punktabzügen führen. „Ich achte auf die Flüssigkeit des Lesevortrags“, sagt Jurykollegin Natja Guse. „Es sollte nicht zu verktrampft sein, und ich überleg mir immer: Wie würde ich das vorlesen.“
So ähnlich werte ich auch. Liest der Kandidat nur vor oder lebt er seinen Text? Ist die wörtliche Rede einfach nur runtergelesen oder wirklich betont? Kommt das alles flüssig rüber?

Nach einer Pause kommt die zweite Runde. Die Sechsklässler müssen einen zweiten Text vorlesen – einen, den sie noch nicht kennen. Der Unterschied ist bei einigen deutlich zu spüren. Abgehackter, unbetoner, und sie sitzen nun sehr viel verkrampfter am Tisch. bestimmt eine wahnsinnig aufregende Situation für die Kinder.

Danach dürfen die Zuschauer und Teilnehmer raus, und es schlägt unsere große Jurystunde: die Auswertung. Es stellt sich raus: Ich bin streng, aber nicht zu streng. Andere Jurymitglieder waren an einigen Stellen deutlich ermarmungsloser. An anderen Stellen gab ich sehr viel weniger Punkte als meine Kollegen. Erstaunlich, wie unterschiedlich solche Vorträge bei den Leuten ankommen, wie unterschiedliche sie bewertet werden.

Am Ende haben wir unsere beiden Gewinner: Berit ist die Schulsiegerin, Anne die Gesamtgewinnerin. Glückwunsch!
Eine Juryarbeit, die großen Spaß gemacht hat!


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