Der kleine Mönch, der will nicht singen

Wir wissen nicht genau, was sie da singen. Aber es klingt schön. In der Berliner Gethsemanekirche sorgen am Nachmittag des zweiten Weihnachtsfeiertages die Moskauer Patriarchmönche für festliche Stimmung. Acht Männer singen russische Lieder, vor ihnen steht der Dirigent. Alle schmettern ihre Stücke, hängen sich voll rein. Bis auf einen.

Er steht in der Mitte, und er ist der Kleinste von ihnen und der Älteste. Erst fällt es gar nicht auf. Hin und wieder bewegt er die Lippen. Immer wieder blickt er bedeutungsschwanger. Hebt und senkt die Augenbrauen, schaut nach oben. Wer ganz hinten sitzt, könnte meinen, es sei alles in Ordnung. Wir aber sitzen in der dritten Reihe und sehen: Er blufft.
Kann er nicht singen? Will er nicht singen? Gibt es Probleme mit der Mönchsgewerkschaft? Zwischendurch haben wir den Verdacht, er sei der von der Stasi, der nur als Spitzel in der Gethsemanekirche dabei ist.

Aber dann: Plötzlich schlägt seine große Stunde. Der kleine Mönch hat ein Solo. Und er hebt die Stimme, er singt, und es klingt großartig. Am Ende bekommt er heftigen Applaus.
Und danach: ist alles beim alten. Wieder tut er nur so.

Ganz nebenbei waren wir an diesem Nachmittag das erste Mal in der Gethsemanekirche. Sie befindet sich nur ein paar Schritte von der Schönhauser Alle und dem Colosseum-Kino entfernt. 1989 fanden dort die Andachten statt, die Proteste gegen die DDR-Regierung. Ein wichtiger Ort während der Wendezeit in Berlin. Mehrere Schautafeln erinnern an diese spannende Zeit.


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