Wendejahr 1989: „Sie wird noch in 50 Jahren stehen“

Geschichte: Am 19. Januar 1989 dachte Erich Honecker nicht an ein schnelles Ende der Mauer

MAZ, 17.1.2009

POTSDAM
Erich Honecker ging Anfang 1989 davon aus, dass die Berliner Mauer noch in 50 oder 100 Jahren stehen würde. Am 19. Januar 1989 hielt der SED-Parteichef im Rahmen einer Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees der DDR im Berliner Staatsratsgebäude eine Rede, die die Märkische Volksstimme (MV) einen Tag danach in voller Länge abdruckte. Der eigentliche Grund und das Hauptthema war der 500.Geburtstag des Theologen und Revolutionärs Thomas Müntzer, der in der DDR im Laufe des Jahres 1989 umfangreich gewürdigt werden sollte.
„Von unserer Art, aus Geschichte zu lernen“ lautete die Überschrift in der MV vom 20. Januar 1989. Erich Honecker äußerte sich zunächst kritisch über die USA. Dort würde zwar über die Grenze zwischen West- und Ostberlin lamentiert, die elektronischen Sperranlagen zwischen den USA und Mexiko seien aber bisher nie ein Thema gewesen. Mit dem Bau des „antifaschistischen Schutzwalls“ 1961 sei die Lage in Europa stabilisiert worden, so Honecker weiter. Gegenteilige Meldungen und Ansichten bezeichnete er als Heuchelei und kritisierte neben der Politik in der Bundesrepublik auch die „Springerpresse und jene, die assistieren“.
Für Honecker war klar: Die Mauer würde so lange stehen bleiben, „wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind.“ Damit wiederholte Honecker eine Aussage des DDR-Außenministers Oskar Fischer, der sich kurz zuvor, am 18. Januar 1989, mit seinem Pendant aus der Bundesrepublik, Hans-Dietrich Genscher, getroffen hatte.
Der Nationale Verteidigungsrat der DDR hatte schon ein Jahr zuvor gewarnt, dass die Grenzsicherungsanlagen, die seit dem 13.August 1961 immer besser ausgebaut worden waren, letztlich den Anforderungen der 80er Jahre nicht mehr voll gerecht würden. Die Anzahl der Menschen, die die Sperranlagen zwischen Ost und West unverletzt und ohne Auslösung überwinden würden, sei bereits erheblich angestiegen.
Wie der Publizist Thomas Flemming sowie Hagen Koch, Gründer des Berliner Mauerarchivs, 1999 in ihrem Buch über die „Geschichte eines politischen Bauwerks“ schrieben, gab es bereits konkrete Planungen bis zum Jahr 2000: Mit Hilfe vieler technischer Neuerungen sollte die Mauer ab 1990 noch unüberwindlicher gemacht werden: Infrarot, Laser, Vibrationsmeldegeber. Jedoch rieten sowohl Forscher als auch das DDR-Verteidigungsministerium von zu viel Elektronik ab. Ein Physiker warnte davor, dass die Sensoren oft nicht unterscheiden könnten, ob die Erschütterungen von umherstreunenden Tieren oder von Menschen stammen.
Ganz im Gegensatz zu diesen Überlegungen verkündete Erich Honecker am 23. Januar 1989 den Beschluss des nationalen Verteidigungsrates, den Truppenbestand der NVA bis Ende 1990 um 10 000 Mann zu reduzieren und den Verteidigungsetat um zehn Prozent zu kürzen.
Was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte: Dass die Tage sowohl der Mauer als auch von Honeckers Regentschaft gezählt waren. Es dauerte noch exakt 294 Tage bis zur Maueröffnung. Erich Honecker war da bereits seit mehreren Wochen in Zwangsrente.


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