Die Sache mit dem Streikbrecher hat heute nicht mehr funktioniert. Eigentlich sollen wir heute in einem der Hörsäle des OSI unseren Vortrag zum Thema „Rechtsextremismus in der DDR“ halten. Dazu ist es nicht gekommen. Unser Raum war besetzt. Wie übrigens das ganze OSI, das Otto-Suhr-Institut in der Ihnestraße in Dahlem.
Als wir unseren Raum betraten, stand da in der Mitte eine große Couch, auf der ein paar Typen rumsaßen. Hier fände heute kein Seminar statt. Jedenfalls nicht zum Thema Rechtsextremismus. Diskussionen zum Streik aber gern. Doch darauf hatten die meisten der (noch) Anwesenden überhaupt keine Lust.
An einem der Fenster des OSI hängt ein Plakat: „Stell dir vor, es herrscht Anwesenheitspflicht und keiner geht hin.“ Ich habe das Gefühl, es muss heißen: „Stell dir vor, es wird gestreikt und keiner geht hin.“
Nun gut, wir haben unseren Vortrag also vorerst umsonst gemacht. Die Sitzung am nächsten Donnerstag fällt aus, unser Dozent hat Prüfungswoche. So kommen wir vielleicht am 5. Januar zum Zuge. Eventuell…
Und plötzlich hatte ich ganz viel Zeit. Warum also nicht zur gerade stattfindenden Streik-VV (Vollversammlung) in die Silberlaube?
Die Silberlaube ist ein Gebäude an der Habelschwerter Allee, das wegen seines silbernen (grauen) Anstrichs so heißt. Nebenan steht die Rostlaube – die nicht nur wegen des rostbraunen Anstrichs so heißt.
Streik-VV also in der Silberlaube. Meine erste Streik-VV!! Voll spannend! Für alle gibt es einen Zettel mit einem Resolutionsentwurf. Hier stehen die Forderungen an die Unileitung und unsern Boss Dieter Lenzen. Von allen heißgeliebt.
Und nach dem doofen Flyer vom Montag hört sich das alles schon sehr viel vernünftiger an. Keine Studiengebühren. Erhaltung der alten Studiengänge. Keine Kürzungen. Usw.
Am „offnenen Mic“ konnten alle, die was zum Entwurf sagen wollten, etwas sagen. Mit beiden Armen melden hieß: Antrag zur Geschäftsordnung.
Jeder einzelne Punkt auf dem zwei Seiten langen Entwurf wurde durchdiskutiert. Zwischendurch noch ein paar mal die GO geändert. Ein langes Hin und Her. Eine Abstimmung jagte die nächste.
140 Minuten später wurde der 25-mal überarbeitete Entwurf dann beschlossen. Nächste Woche soll es die nächste VV geben – aber ohne Streik.
Als ich gegangen bin, war die Veranstaltung immer noch am Laufen. Keine Ahnung, wie lange noch…