Total tolerant. Nicht wirklich.

Nachdem die Politik in Oberkrämer es mehrheitlich abgelehnt hat, dass zum Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie vor der Gemeindeverwaltung in Eichstädt die Regenbogenfahne hängen darf, fand nun stattdessen am Freitagabend eine Art Ersatzaktion statt. Stattdessen wurde die Fahne nicht an den Mast gehangen, dafür wurden gleich mehrere zu einem längeren Regenbogenfahnengebilde ausgerollt und zusammengefügt.
Es ist also nichts, was jemanden stören könnte, der nicht dabei war.

Nachdem die Aktion auf Facebook publik geworden ist, machte sich allerdings in den Oberkrämer-Gruppen mehrheitlich Empörung breit. Empörte, die erklärten, wie Toleranz zu funktionieren habe, dabei aber auch nicht tolerant waren, auch wenn sie das mehrfach behaupten.

Argument 1: Hetero will auch mit Fahne auf sich aufmerksam machen. Und sei man als Hetero noch normal?
Aber was ist eigentlich normal? Ist ein Hetero normal? Vielleicht hat ja der Hetero auch Hobbys oder Gelüste, die andere nicht normal finden. Und worauf will man als Hetero aufmerksam machen? Wie oft werden Heteros beschimpft und/oder verprügelt, weil sie Hetero sind?

Argument 2: Wo sei die Toleranz gegenüber der Mehrzahl der Leute im Gemeinderat, die den Antrag abgelehnt haben?
Das ist schon fast tragisch. Was hat das mit Toleranz zu tun? Vielleicht sollte man solchen Menschen einfach mal erklären, wie Politik funktioniert. Es ist nicht verboten, für eine Sache weiterzukämpfen, auch wenn die Politik etwas mehrheitlich ablehnt. Das wäre das Aus für die AfD, die ja politische Entscheidungen der Regierung auch nicht tolerieren will. Es wäre das Aus für alle Demos. Wozu sollte es die geben, wenn man doch bitte tolerieren solle, was die Regierenden entscheiden? Es wäre das Aus für die Opposition, für die Demokratie überhaupt. In der DDR – da war das vielleicht so, dass man doch bitte zu tolerieren habe, was die Regierung beschlossen hat. Und wenn man das nicht toleriert hat, na ja, wir wissen ja, wie das war.
In Oberkrämer wird seit Jahren für die Eröffnung einer weiterführenden Schule gekämpft. Im Kreistag ist das abgelehnt worden – hört also der Kampf in Oberkrämer dafür auf, weil man doch bitte die Entscheidung tolerieren solle? Das ist natürlich Quatsch.

Argument 3: Eine Toleranz gegenüber andersdenkenden Menschen sei seitens der Antragsteller für die Fahne nicht vorhanden.
Auch da wären wir wieder bei der Frage, wie Politik funktioniert. Und grundsätzlich geht es übrigens bei der queeren Community nicht um Toleranz, sondern um Akzeptanz.

Argument 4: Hängen auch bald Fahnen von Fußballvereinen?
Das ist, nun ja, sehr, sehr kurz gedacht. Queersein sucht sich niemand aus. Den Fußballverein schon.

Argument 5: Wie viele Fahnen gegen Mobbing und Diskriminierung sollen gehisst werden?
Das klingt, ob man davon einfach nur schwer genervt ist. Ja, es ist unangenehm, wenn man in seiner Gemütlichkeit gestört wird, weil man selber vielleicht nicht diskriminiert und gemobbt wird. Aber wenn sich da Leute bestimmter Minderheiten melden – warum denn nicht? Warum öffnet man sich ihnen nicht? Warum hebt man erst mal die Hände und stößt sie vor den Kopf? Sollen doch die Gemobbten bitte, bitte still sein. Man wolle doch davon nicht gestört werden.

Argument 6: „Dieses Klientel muss doch an einem Aufmerksamkeitsdefizit leiden.“
Klientel. Dieses Wort steht ja nun wirklich für Toleranz. Ähm, nicht. Schön wäre es vermutlich sogar, wenn es ein Aufmerksamkeitsdefizit gäbe. Schwule und Lesben würden sich ganz sicher über weniger Aufmerksamkeit freuen, wenn sie mal wieder bepöbelt oder bespuckt oder getreten werden, weil sie Händchen halten oder sich öffentlich küssen.

Argument 7: Deutschland war noch nie so tolerant.
Mag sein, ja. Aber ist das wirklich so? Stellt sich die AfD nicht in den Bundestag und sagt, dass sie viele Privilegien für queere Menschen wieder abschaffen würden, wenn sie an die Macht käme? Und folgen nicht immer mehr Menschen der AfD? Auch in Oberkrämer hat die AfD – an der Seite der „Bürger für Oberkrämer“ – dagegen gestimmt. Ist es wirklich so, dass queere Menschen sich immer und überall völlig frei so geben können, wie sie möchten? Und kann die Gruppe der queeren Menschen selbst das nicht sowieso viel besser entscheiden als Facebook-Kommentatoren, die von Übergriffen vielleicht mal entfernt gehört haben?

Alle diese, ähm, Argumente zeigen, wie wichtig diese Regenbogenfahne in Wirklichkeit ist. Dabei geht es in Wirklichkeit eigentlich gar nicht darum, ob diese Fahne da hängen muss oder nicht.
Aber alle diese Argumente dagegen zeigen, wie wenig oder gar nicht das Thema überhaupt verstanden wird. Hier ist von Toleranz die Rede. Hier wird Toleranz gegenüber Politikern eingefordert, die diese Leute dann bei anderen Themen sicherlich auch (nicht?) aufbringen werden (oder warum demonstrieren die Querdenker?).
Und wenn es diese Toleranz gäbe, wäre es dann für diese Toleranten nicht völlig wurscht, ob da nun die Fahne hängt oder nicht? Warum pocht man denn so darauf, dass diese Fahne da nicht, nicht, überhaupt nicht, nicht, nicht, nicht, nicht zu hängen hat. Ist das tolerant? Ist es nicht.


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