Delia Merten und ihre Helfer suchen vor der Mahd die Felder ab und holen junge Wildtiere raus, denen durch die Arbeiten Lebensgefahr droht
MAZ Oberhavel, 7.11.2023
Hohenbruch.
Wenn aus einem eigentlich sicheren Versteck ein lebensgefährlicher Ort wird. So ergeht es im Sommer vielen Rehkitzen oder auch anderen Lebewesen, die sich auf den hochbewachsenen Feldern der Region aufhalten. Nämlich immer dann, wenn die Flächen gemäht werden.
„Kitze haben in den ersten zwei Wochen keinen Fluchtinstinkt“, sagt die Hohenbrucherin Delia Merten. „Bei Gefahr ducken sie sich nur wenn das Mähwerk kommt.“ Wenn die großen Mähmaschinen über die Felder fahren, dann ist es für die Personen am Steuer praktisch unmöglich zu sehen, ob auf ihren Flächen Rehkitze ausharren. „Die merken nicht, wenn sie über ein Kitz rumpeln.“ Die Tiere sind nach einem solchen Unfall oft nicht sofort tot. „Sie liegen da rum und leben.“ Oft sind Gliedmaßen abgetrennt. „Das ist bitter“, so Delia Merten.
Bis zu 100.000 Rehkitze sollen dadurch pro Jahr deutschlandweit ums Leben kommen. „Das ist eine wirklich große Zahl“, so die Hohenbrucherin. Sie ist der Meinung: Das muss nicht sein.
Der Verein Kitzrettung Hohenbruch will es so weit nicht kommen lassen. Er wurde 2021 gegründet. „Ich komme ursprünglich aus Berlin“, erzählt Delia Merten, die Vorsitzende des Vereins. „Ich bin vor zehn Jahren hergekommen.“ Als sie von den Problemen rund um die Kitze bei der Feldmahd hörte, „habe ich angefangen, mich für die Kitzrettung zu engagieren.“ Anfangs sei sie damit allein gewesen, „aber dann sind immer mehr Leute dazugekommen.“ Von Mai bis Juli sei bei dieser Problematik die wichtigste Zeit.
Aber wie holt man die Rehbabys, die Kitze, aus dem Feld raus? „Ich hatte mich belesen“, sagt Delia Merten. Es gebe Kitzwarner, die im Feld aufgestellt werden. „Die geben ein lautes akustisches Signal und soll die Ricke dazu bewegen, das Kitz aus dem Feld rauszuholen.“ Die Warner seien am Abend vor den Mäharbeiten aufgestellt worden. „Aber diese Maßnahmen brachten wenig Erfolg. Es wurden trotzdem Kitze gemäht.“
Abhilfe schaffen in diesem Fall Drohnen. „Eine Drohne arbeitet mit einer Wärmebildkamera.“ Sie könne die Lebewesen aber nur finden, wenn die Temperaturen zwischen dem Boden und den Körpern der Tiere differieren. „Deshalb sind wir in den frühen Morgenstunden unterwegs.“
Um 4 Uhr am Morgen der Mahd auf dem betroffenen Feld treffen sich die Mitglieder und Helfer des Vereins. Der Hohenbrucher Verein hat derzeit etwa 20 Mitglieder, die Zahl der Helfenden liege bei etwa 30. In einer WhatsApp-Gruppe werde vor solchen Einsätzen immer gefragt, wer denn Zeit habe und dazustoßen wolle. „Durch unsere ehrenamtlichen Helfer lebt die ganze Sache, ohne sie wäre das alles nicht möglich.“
Wo gemäht wird, erfährt der Verein von den entsprechenden Landwirten, die sich im Vorfeld an Delia Merten und ihr Team wenden. „Mit denen besprechen wir alles.“ Es handelt sich also nicht um illegale Aktionen, sondern alles wird mit allen wichtigen Leuten abgesprochen – auch mit den Jägern, die gestatten müssen, dass die Tiere aus dem Feld geholt werden. Landwirte sind gesetzlich verpflichtet, dass sie alles tun, um das Ausmähen von Tieren zu vermeiden. „Ohne triftigen Grund darf man keinem Wirbeltier etwas zu Leide tun“, erklärt Toralf Roesler. Der Jäger ist auch im Vorstand des Hohenbrucher Kitzrettungsvereins.
Los geht es also um 4 Uhr, wenn die Sonne über den Feldern aufgeht. Mit Hilfe der Drohne wird geschaut, wo sich Kitze aufhalten. Finden sie welche, „darf man sie nicht mit den bloßen Händen anfassen“, sagt die Hohenbrucherin. „Wir tragen Handschuhe, wir tragen möglichst kein Parfüm.“ Auch dürfen die Tiere nicht an den eigenen Körper gedrückt, sondern müssen am ausgestreckten Arm gehalten werden. „Die Kitze kommen in eine Box. Es sind eigentlich Hundeboxen, gut belüftet. Sie haben sich bewährt.“ Diese Box wird an den Wiesenrand getragen, nach der Mahd kommen die Tiere wieder frei.
In diesem Sommer haben die Vereinsmitglieder auf den Feldern viel zu tun gehabt. „Es gab erst viel Regen, dann war eine Schönwetter-Phase. Da klingelt dann unser Telefon heiß. Bei schönem Wetter wollen alle mähen. Es gab Wochen, da waren wir jeden Tag draußen.“
Im Schnitt seien sechs Leute pro Einsatz nötig. Die machen das alles „für lau“, wie Delia Merten sagt. Also ehrenamtlich. „Dafür haben wir tolle Sonnenaufgänge und das Gefühl, ein Kitz gerettet zu haben. Das entschädigt für alles.“ Es sind nicht nur Kitze. „Alles, was gefunden wird und nicht wegrennt.“ Das können Hasen sein, aber auch Vogelnester. Der Einsatz dauere in der Regel anderthalb bis zwei Stunden. Bei besonders großen Flächen aber auch länger.
Deshalb braucht der Verein eine zweite Drohne, um große Felder am Morgen schneller absuchen zu können. „Wir freuen uns über jede Spende“, sagt Delia Merten. Aber auch neue Vereinsmitglieder seien immer willkommen. „Die Mitgliedschaft verpflichtet nicht dazu, auf dem Feld mitzumachen“, erklärt die Vereinschefin.
Kontakt zum Verein Kitzrettung Hohenbruch: 0162/2928526. E-Mail: kitzrettung.hohenbruch.ev@gmail.com.
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