Benjamin von Stuckrad-Barre: Noch wach?

Ja, das muss man wirklich betonen: Dieser Roman hat wirklich, wirklich, aber auch wirklich rein gar nichts mit der Realität zu tun. Also, na ja, klar, inspiriert von der Wirklichkeit ist dieser Roman durchaus – und, ja, es ist wirklich ein Roman und kein, wirklich kein (!), Sachbuch. Aber wirklich nur inspiriert. Ganz leicht inspiriert. Also, so ein wenig angelehnt an die Wirklichkeit. So ein Mü. Und deshalb legt der Autor auch keinen Wert darauf, dass er etwas authentisch wiedergebe. Er habe – und wie kann man das anzweifeln – ein völlig eigenständiges Werk geschaffen. Und weil ein, zwei Leute das scheinbar anzweifeln, hat der Autor das dem Roman vorangestellt. Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, dass der Autor einfach aufgeschrieben haben KÖNNTE, was er erlebt haben KÖNNTE.

„Noch wach?“, heißt der neue Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Kurz gesagt, geht es um den (Ex-)Freund, der Chef eines, nein, DES großen Berliner Boulevard-Senders ist. Der Sender ist umstritten. Die Berichterstattung geht unter die Gürtellinie, ist oft menschenverachtend. Der Chefredakteur scheint zudem seine Macht auszunutzen, diverse Frauen wollen damit an die Öffentlichkeit gehen.

Der Ich-Erzähler ist, zwinker, zwinker, ein Buchautor. Er war selbst Teil des Sen, äh, Verlages, und er war lange ein Freund des Herausgebers. Lustige, aber natürlich vollkommen zufällige Parallele zum wahren Leben.
Tatsächlich platzte der Roman auch in die aktuelle Debatte um den Springer-Verlag und um Mathias Döpfner, der viel mehr über die Julian-Reichelt-Thematik gewusst haben soll, als er zugibt. Zufälligerweise sind Tage davor, SMS-Chats von Döpfner in die Öffentlichkeit gelangt, und zufälligerweise ist gerade auch ein Podcast über die Zustände bei Springer erschienen. Alles Zufälle.
Lange ist der Inhalt des Romans von Benjamin von Stuckrad-Barre geheim gehalten worden. Wahrscheinlich zurecht. Denn was der Autor da erz… sich ausgedacht hat, das ist wirklich atemberaubend. Vieles kommt uns bekannt vor: Wie der Sender über die Trennung eines Fußballers berichtete. Wie der Sender hetzt. Und die Frauen-Geschichten des Chefredakteurs.
Die Storys sind meist ziemlich bekannt – neu ist, wie das hier noch mal auf den Punkt gebracht wird. Wie der Ton untereinander ist, wie der Herausgeber über bestimmte Themen denkt und wie alles runtergespielt werden soll. Und vor allem: wie abgelenkt und vertuscht werden soll.

Einfach macht es einem der Autor aber nicht. So richtig wird eigentlich nicht klar, was das für ein Ich-Erzähler sein soll. Wer nicht so richtig in der Materie steckt, wird über viele Seiten lang gar nicht wissen, worum es überhaupt geht. Seitenlang gibt es anfangs seltsam nichtssagende Dialoge, und auch zwischendurch gibt es wirklich ziemlich langweilige Passagen. Rein vom Schreibstil her ist der Roman wie ein Gewitter mit schnellen Blitzen und ständigem Donner, gefolgt von dichtem Nebel, durch den man keinen Durchblick hat.
Deshalb ist dieser Roman wohl eher auch für die Filterblase geschrieben – wird sich Otto-Normal-Leser wirklich für diesen Stoff interessieren? Das Buch ist auch ein Stückweit Selbstbefriedigung, denn natürlich fragt man sich schon auch, ob der Autor sich von irgendwas reinwaschen will.
Literarisch ist „Noch wach?“ eher nicht wertvoll. Inhaltlich bietet der Roman aber durchaus spannende und auch schockierende Einblicke in einen total verkommenen Medienbetrieb.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Noch wach?
Kiepenheuer & Witsch, 377 Seiten
6/10


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