Meinung der Kinder gehört ins Zentrum

Alexandra Pichl, Landesvorsitzende der Grünen, unterhält sich mit IFK-Direktor Dietmar Sturzbecher in Staffelde über die frühkindliche Erziehung – Verkehrsregeln müssten in der Kita vermittelt werden

MAZ Oberhavel, 29.7.2022

Staffelde.
Lehren und lernen – das ist das Credo von Dietmar Sturzbecher. Der Direktor des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung (IFK e.V.) empfing am Donnerstagvormittag in Staffelde Alexandra Pichl. Die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Grüne wollte sich bei ihm über die verschiedenen Aspekte frühkindlicher Bildung informieren – wobei sich beide im Laufe des Gesprächs auch mit dem Thema Verkehrserziehung in der Kita-Betreuung unterhielten.

Ein Thema, das im Staffelder Institut keine unwichtige Rolle spielt: Was passiert mit den Kindern, wenn sich die Eltern trennen? Das Wechselmodell – wenn das Kind zur Hälfte bei beiden ehemaligen Partnern ist – würde dem Kind nicht schaden, sagt Dietmar Sturzbecher. „Aber wenn die Eltern nicht kooperieren, dann ist das verheerend.“ Aus seiner Sicht müssten Beratungsstellen sich mit jeder Trennungsfamilie auseinandersetzen und sich die soziale Situation ansehen. „Es ist immer ein Stück Arbeit, das passende Modell für das Kind rauszukriegen. Da muss man auch mit dem Kind reden.“ Es gebe dafür entsprechende Befragungsmodelle. „Wir haben zeigen können, dass man Kinder ab vier Jahren befragen kann. Wenn man es richtig macht, sind ihre Aussagen genauso verlässlich wie die von Erwachsenen“, so der Institutsleiter. Er plädiere in solchen Fällen dafür, eine differenzierte Handlungsweise zu wählen. „Im Zentrum muss die Meinung der Kinder stehen.“ Stattdessen seien Kinder im Spannungsfeld der Eltern in solchen Fällen oft allein gelassen.

Das Institut befasse sich mit der Familienforschung. Es gehe um familienfreundliche Städte und Gemeinden. Neben der Stadt Herzberg (Elster) sei Kremmen eine der Modellstädte, die bei einer familienfreundlichen Sozial- und Regionalplanung unterstützt würden. Wenn es darum gehe, auch die Kinder zu ihren Ansichten zu befragen, da steht auch das Kommunale Netzwerk für Qualitätsmanagement in der Kindertagesbetreuung (KomNet-QuaKi) hoch im Kurs. Mehr als 150 Kitas in 20 Kommunen machen mit – in Oberhavel sind es Kremmen, Oberkrämer, Hennigsdorf und Oranienburg. Innerhalb dieses Qualitätsmanagementsystems für Kindertageseinrichtungen werden immer wieder Befragungen durchgeführt, um herauszufinden, auf welchem Level sich die Einrichtungen befinden. „So ein Qualitätsmanagement kann nicht schaden“, sagte Alexandra Pichl. Da sie sich kommunalpolitisch in ihrem Heimatort Kleinmachnow bei Potsdam engagiere, kenne sie sich damit gut aus.
Dietmar Sturzbecher stellte aber auch klar, dass es vor allem die Kommunen seien, die sich in der Hinsicht für ihre Kitas einsetzen würden. „Diese Politik findet in den Kommunen statt, nicht in Land und Bund.“ Alexandra Pichl merkte dazu an: „Ich höre raus, dass das Land die frühkindliche Bildung nicht in den Vordergrund gestellt hat.“ Es werde überall über Gebühren und Gebührenfreiheit diskutiert, aber aus ihrer Sicht müsse noch viel mehr über den Bildungsauftrag und die Qualitätssicherung an den Kitas gesprochen werden. „Die Eltern haben mit Kitagebühren kein Problem, wenn die Qualität stimmt“, sagte Dietmar Sturzbecher. Dennoch würden die Leute aber auch nicht verstehen, warum die Gebühren in den verschiedenen Gemeinden mitunter stark unterschiedlich ausfallen würden. „Wir unterhalten uns über Finanzen, erst danach über Qualität.“ Das sei nicht richtig.

Auch über die Verkehrserziehung und die Vermittlung von Verkehrsregeln für Kinder macht man sich am Staffelder Institut Gedanken. „Die Frage ist: Wo verunfallen Kinder“, sagte Dietmar Sturzbecher. „Wir analysieren Unfälle und schauen, welche typischen Rahmenfälle es gibt.“ Aufgrund dieser Daten könnten dann entsprechende Lernmaterialien und -hilfen zusammengestellt werden. So kritisiert Dietmar Sturzbecher beispielsweise, dass Eltern ihre Kinder oft viel zu lange jeden Tag zur Schule bringen. Denn so könnten die Kinder keine eigenen Erfahrungen auf dem Schulweg sammeln.
Die Grünen-Vorsitzende Alexandra Pichl erzählte in dem Zusammenhang, dass sie den vier Kilometer langen Schulweg mit ihrem Kind gemeinsam mit dem Rad fährt. „Es ist mir zu unsicher, sie alleine fahren zu lassen.“ Auch wenn es geheißen habe, dass man die Kinder nicht immer bringen solle, es müsse den Schulweg lernen. Dietmar Sturzbecher verwies auf ein entsprechendes Projekt des Institutes, bei dem es um die richtige Vermittlung von Verkehrserziehung in der Kita gehe. Die Landesvorsitzende der Grünen wünscht sich zudem, „dass wir uns auch die Fahrlehrerausbildung angucken.“ Da werde gerade gegenüber jungen Fahrschülerinnen „oft Macht ausgeübt“, wie sie sagte.

Und wie steht es um Vorurteile, die auch Kinder schon haben? „Kinder beginnen mit vier Jahren mit stereotypen Handlungen“, sagte Dietmar Sturzbecher dazu. Eine Erziehung, die eventuelle Vorurteile vorbeugen müsste, sollte dementsprechend schon in diesem Alter beginnen. „Wenn einem nicht genug Informationen zur Verfügung stehen, greife ich auf Vorurteile zurück.“ Alexandra Pichl erzählte von einer Begegnung mit Jugendlichen, „die haben mit 14 Jahren Querdenker-Meinungen wiedergegeben, die sie so nur von den Eltern haben können.“ Sie wisse, weil sie ja auch Mutter sei, welche Verantwortung sie in dieser Hinsicht habe.

Für Dietmar Sturzbecher hatte Pichl am Donnerstag viel Lob: „Sie haben hier sehr viel gemacht und aufgebaut.“


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