Ferdinand von Schirach: Feinde

SO 03.01.2021 | 20.15 Uhr | Das Erste / one / Dritte Programme

Ein Film, zwei Blickwinkel, elf Sender. Die ARD ist ja eher selten wirklich experimentierfreudig, aber am Sonntagabend hat sie es mal wieder gewagt.

Ein junges Mädchen wird entführt. Der Entführer fordert von der reichen Familien viel Geld für die Freilassung. Kommissar Nadler ermittelt und fokussiert sich auf das Umfeld der Familie. Sicherheitsmann Kelz wird verhört, und Nadler ist sich sicher: Kelz hat das Mädchen entführt. Weil aber Kelz nichts zugibt und auch nicht sagt, wo das Mädchen ist, greift er zu drastischen Mitteln.
Strafverteidiger Biegler muss sich vor seiner Frau rechtfertigen, weil er Kelz verteidigen wird. In der ausführlichen Befragung seines Mandanten bringt er Ungeheuerliches ans Licht.

Das Thema von „Ferdinand von Schirach: Feinde“ ist extrem spannend. Denn der Zuschauer war bei der Entführung dabei, und man kann ziemlich sicher sein, dass Kelz ein Täter ist. Ziemlich. Aber nicht hundertprozentig.
Nadler foltert Kelz während des Polizeiverhörs, um ein Geständnis zu erpressen. Ist diese Art der Folter legitim? Sind alle Mittel recht, um ein Mädchen aus ihrer Gefangenschaft zu befreien?
Die Antwort ist sehr eindeutig, denn der Strafverteidiger nimmt Nadler während der Gerichtsverhandlung regelrecht auseinander. Nadler hatte keine Beweise, die Spurensicherung war quasi nicht vorhanden, es war lediglich ein Gefühl, dass Kelz es gewesen sei. Dass Nadler Kelz gefoltert hat, fliegt dem Ermittler um die Ohren.

Bjarne Mädel spielt in „Feinde“ den Ermittler Nadler, und das macht er hervorragend. Einmal mehr zeigt er, dass er ein fantastischer Schauspieler ist. Ebenso aber Klaus Maria Brandauer, der den Strafverteidiger spielt.

Es gibt zwei Versionen dieses Films. In Version 1 geht es vor allem um die Sichtweise des Ermittlers. Der Zuschauer ist dabei, wenn Nadler zunächst im Dunkeln tappt und später beim Verhör, das dann eskaliert. Diese Version lief im Ersten.
In Version 2 verfolgen wir, wie Strafverteidiger Biegler arbeitet, wie er hadert und sich dann seiner Aufgabe widmet, wie er schließlich Kelz verhört und auf die Tatsache der Folter stößt. Die erstengut 15 Minuten sind deckungsgleich, die letzten 25 Minuten auch – zumindest fast. Denn im Prozess ist die Kameraführung vor allem auf Biegler fokussiert, und am Ende erfährt der Zuschauer auch mehr über die Urteilsbegründung, während in Version 1 der Zuschauer mit Nadler relativ zügig nach der Urteilsverkündung den Saal verlässt. Version 2 lief bei one und in allen neun Dritten Programmen.

Das Experiment: Die beiden Filme laufen parallel, und der Zuschauer kann entscheiden, aus welcher Sicht er das Ganze sehen will. Oder er konnte hin- und herschalten, um zwischendurch zu schauen, was der Strafverteidiger ermittelt.
Ich habe das probiert und habe gezappt. Gut ist, dass man tatsächlich nicht nennenswert etwas in den jeweils anderen Versionen verpasst hat. Allerdings verliefen die Handlungen nicht immer wirklich parallel. So gab es in Version 1 ein Zusammentreffen von Nadler und Biegler, das aber da nicht gleichzeitig in Version 2 gab.
Andererseits gab es in Version 1 die Folterszenen, während Kelz in Version 2 die Szenen schilderte und der Anwalt darauf reagierte. Das war ein spannender Gegensatz, der auch nur so unmittelbar funktioniert.
Wer dagegen die beiden Filme hintereinander sah – weil viele den Eindruck hatten, es habe sich um einen zweiten Teil gehandelt – sah dagegen viele Doppelungen, die dann langweilig erschienen.

Version 1 im Ersten. Version 2 auf one, im WDR, NDR, radiobremen tv, BR, SWR, SR. hr, mdr und im rbb. Ein Film auf zehn Sendern. War das wirklich nötig? Die ARD hielt das offenbar für nötig, und sicherlich ist dabei zu bedenken, dass wahrscheinlich nicht jeder Fernsehzuschauer wirklich jedes Dritte Programm und one empfängt. Es heißt, dass über DVB-T nur bestimmte Dritte zu empfangen sind. Um also sicherzustellen, dass wirklich alle Zuschauer am kompletten Experiment teilnehmen können, wurde der Film also durchgeschaltet.
Ob es grundsätzlich den zweiten Film gebracht hätte, ist eine andere Sache. Das Experiment war spannend, aber mit 120 statt 90 Minuten Länge hätte man auch alles erzählen können. Was dann aber vermutlich wieder weniger Aufmerksamkeit bekommen hätte, weil es dann eben nur ein Film im Ersten gewesen wäre.

Der Umgang mit dem Experiment in der ARD war jedoch lausig. Man hat den Zuschauer mit den Filmen leider sehr allein gelassen. Man hat sich darauf verlassen, dass alle vorher informiert waren, was denn da jetzt passiert.
Nicht nur, dass der Film in den meisten Dritten nicht zeitgleich mit dem Film im Ersten startete, sondern schon etwas früher. Er startete ohne Info an die Zuschauer.
Eigentlich hätten alle elf Sender zu Beginn wirklich zusammengeschaltet werden müssen. Ein(e) Ansager(in) (ja, sowas gibt es ja leider nicht mehr) hätte den Zuschauern erklären müssen, was jetzt passiert und was die Zuschauer machen können. Auch während des Films hätte es ab und zu Einblendungen geben müssen. An bestimmten Stellen hätte man „Umschalthilfen“ geben können, in dem man sagt, was gerade in der anderen Version passiert. Dazu hätte man während des Films vielleicht zwei oder drei Punkte schaffen müssen, wo sich die Storys kreuzen und man dem Zuschauer das durch entsprechende Einblendungen sagen können.
Aber die Mühe hat man sich dann leider nicht gemacht, so wirkte das ganze wie eine gute Idee, die man aber nicht zu Ende gedacht hat.

Fast elf Millionen Menschen haben am Sonntagabend zur Primetime einen der beiden Filme gesehen. Das ist ein Erfolg, und solche Experimente könnte es gern mal wieder geben. Dann aber bitte noch mehr durchdacht.

-> Die Filme in der ARD-Mediathek (bis 3. April 2021)


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Kommentare

5 Antworten zu „Ferdinand von Schirach: Feinde“

  1. ThomasS

    Zu Beginn habe ich auch ein paarmal gezappt (sogar in mehrere Dritte Programme), aber eher, um zu kontrollieren, ob die wirklich Ernst machen. Aber dann habe ich mich doch auf die Sendung im Ersten konzentriert. Was diese parallelle Ausstrahlung für einen Sinn hatte, habe ich nicht kapiert. Wer andauernd hin und her sprigt, bekommt doch keine der beiden Handlungen richtig mit. Vielleicht wollte man auf diese Weise dafür sorgen, dass die arbeitende Bevölkerung rechtzeitig ins Bett kommt. ^^

    Am besten bedient waren womöglich die Zuschauer bei one. Da gab es zunächst (wie auf den Dritten) die Perspektive des Verteidigers, dann gleich im Anschluss die des Polizeibeamten und schließlich wurde ab 23:15 nochmal für 45 Minuten „Der Prozess“ gezeigt, was aber m.E. nur eine Wiederholung des letzten Teils „Das Geständnis“ war.

    Andererseits hätte der one-Zuschauer wiederum die interessante Dokumentation verpasst, die ab 21:45 im Ersten gezeigt wurde. Neben dem Autor, der hier seine Motivation erläutert, kamen hier u.a. auch Angehörige von Entführungsopfern zu Wort.

    Deiner Einschätzung des Sendekonzepts als konfus und undurchdacht kann ich mich nur anschließen. Und ebenso deiner Aussage, dass wir es hier inhaltlich und darstellerisch hervorragenden Produktion zu tun haben. Das war Infotainment, wie es sein sollte! Und ja: Gern mehr davon!

  2. RT

    In vielen Dritten lief die 2. Perspektive auch noch am selben Abend, meist direkt nach dem 1. Film.

  3. ThomasS

    Kann sein. Laut meiner Programmzeitschrift haben außer dem rbb alle Dritten ab 21:45 was anderes gezeigt. Trotzdem lief „Das Geständnis“ dann eben zeitgleich zur Doku im Ersten.

    Was soll’s: Wer an der gesamten „Produktpalette“ interessiert war, wird sich eh sämtliche Sendungen im Internet angeschaut haben.

  4. ThomasS

    Jetzt komme ich auch schon durcheinander! Natürlich lief bei ONE und Co. zunächst „Das Geständnis“ und anschließend „Gegen die Zeit“. Im Ersten war es – mit Verzögerung durch die Doku und die tagesthemen – genau umgekehrt. Also, Verwirrung pur. Wie du ja auch schreibst.

  5. Na ja, das fand ich eigentlich nicht verwirrend. 😀

    Das Ding ist ja, dass man sich den zweiten Film eigentlich nicht komplett anschauen muss.

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