Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus

Der Name Claas Relotius steht für den größten Fälschungsskandal der deutschen Journalismusgeschichte. Es war nicht die eine Geschichte, die von vorn bis hinten erlogen war. Es waren zig Artikel in diversen Zeitungen. Es waren weniger Artikel wahrhaftig, aber viel mehr davon reine Fantasie.
Aufgeflogen ist das System Relotius im Dezember 2018, als er gemeinsam mit dem ebenfalls freien Autor im „Spiegel“, Juan Moreno, eine Reportage über die Zustände an der Grenze zwischen den USA und Mexico veröffentlicht. Moreno kommt schon während der Entstehung vieles seltsam vor, und später kommt den den vielen Ungereimtheiten des Textes auf die Schliche.

In seinem Buch „Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus“ beschreibt nun Juan Moreno, wie es zu dieser Reportage gekommen ist, wie er auf die Ungereimtheiten stieß und wie er schon vor Veröffentlichung im „Spiegel“ versuchte, die Chefetage im „Spiegel“ zu informieren.

Wäre es kein Sachbuch, dann könnte man das Buch gut und gerne in die Abteilung mit den Thrillern stellen. Denn „Tausend Zeilen Lüge“ ist eine echte Kriminalgeschichte – und sie macht über weite Strecken geradezu fassungslos.
Denn Moreno deckt das System Relotius auf. System bedeutet, dass er mitunter systemisch seine Texte gefälscht hat. Er reiste oft gar nicht zu den Stätten, über die er berichtete. Er dachte sich Geschichten drumherum aus, falls doch mal Fragen auftauchen. Er schuf sich eine regelrechte Lügenwelt.
Und er kam damit durch, bekam einen Journalistenpreis nach dem nächsten. Und er war hochgeachtet – überall. Er stand kurz davor, Ressortleiter beim „Spiegel zu werden. Andere Obere sollten noch weiter hochrücken. Und in dieser Situation kam der Skandal. Leute hatten Angst um ihre Aufstiege, und überhaupt konnten sie sich nicht vorstellen, dass der gute Claas gar kein Guter war.
Moreno sammelte Beweise für die Lügen, aber in der Chefetage schien es kaum jemanden zu interessieren, und der gute Claas konnte ja eh alles widerlegen. Die Faktenchecker beim „Spiegel“ haben ebenfalls versagt, denn sie hätten durchaus drauf kommen können, dass das was nicht stimmt. Dass da immer wieder was nicht stimmt.
Letztlich war es eine US-Journalistin, die endgültig alles ins Rollen brachte.
Es ist ein wichtiges Buch, es ist eine Mahnung, auf Leute wie Relotius nicht mehr reinzufallen. Es ist aber auch eine Mahnung, den Schreihälsen, die von der Lügenpresse faseln, nicht noch mehr Futter zu geben. Beim Lesen überwiegt neben der Wut aber auch der Unglaube, was eigentlich möglich ist.

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus
Rowohlt Berlin, 287 Seiten
9/10


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