Wir sind jung. Wir sind stark.

Ein Tag in Rostock-Lichtenhagen. Kein normaler Tag. Es ist der 24. August 1992. Die deutsche Einheit ist knapp zwei Jahre her, vom Wirtschaftsboom ist im Osten Deutschlands noch nicht allzu viel angekommen. Die Leute sind frustriert, die Jugendlichen haben nichts zu tun. Die Politik hat scheinbar eine vernünftige Asylpolitik verschlafen, das Heim in Lichtenhagen ist überfüllt, die Bewohner campieren draußen, und die Einheimischen fühlen sich provoziert.
Es gehört zu den dunkelsten Kapiteln der jüngsten deutschen Geschichte: die Krawalle von Lichtenhagen. Burhan Qurbani zeigt in seinem unbedingt sehenswerten, und in der jetzigen Zeit sehr aktuellen Film, was an diesem einen besagten Tag geschehen ist.

Die Stimmung im Hochhausviertel ist angeheizt, alle wissen: Heute Abend knallt es. Wieder. Die örtlichen Politiker spielen das Problem runter, sei es aus Naivität, aus Blöd- und Blindheit oder aus Gier nach höheren Posten.
Stefan (Jonas Nay), der Sohn des Bürgermeisters, und seine Gruppe stromern durchs Viertel. Freundschaft und Liebe haben keine größere Bedeutung, sie sind nur irgendein Status. Ihren Frust wollen sie aber loswerden – heute Abend am Heim.
Dort drin machen sich die Bewohner, u.a. die Vietnamesen im benachbarten Hochhaus, schon Sorgen. Was wird heute nacht geschehen? Auch dort gehen die Meinungen auseinander: Angst und Sorglosigkeit. Schließlich hätten es die Deutschen ja auf die Ausländer abgesehen und nicht auf sie.
Unterdessen wird die Stimmung draußen immer aufgeheizter.

„Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist ein sehr packender, aber auch extrem niederschmetternder Film. Er zeigt, was passiert, aber er gibt eigentlich keine Antworten auf irgendwelche Fragen. Warum die Jugendlichen so brutal sind – es scheint einfach so zu sein. Warum auch immer. Der pure Frust und Lust aufs Kaputtmachen. Und weil die anderen ja auch mitmachen. Schlechtes Gewissen? Fehlanzeige. Wir sehen aber auch, wie Politiker versagen, wie sie den Kopf einziehen, einfach versuchen, die Sache auszusitzen. Wie die Polizei einfach verschwindet – um dann später kopflos und überfordert wieder eingreift.
Wir sehen das komplette Scheitern – und das in Schwarz-Weiß. So lange, bis die Jugendgruppe dem Fernsehen ein Interview gibt, dann kommt plötzlich Farbe und Breite in den Film. Als ob uns Burhan Qurbani noch mal ganz deutlich vor Augen führen wollte: Das ist alles Realität.
Gerade demonstrieren Pegida und Co. gegen die Asylpolitik. Dieser Film zeigt, was passiert, wenn man sich um die Ängste der Leute nicht kümmert und wohin Frust und Hass führen kann.

Wir sind jung. Wir sind stark.
D 2014, Regie: Burhan Qurbani
Zorrofilm, 128 Minuten, ab 12
9/10


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