Von Drachenläufern und Feuchtgebieten

Freizeit: In der Fehrbelliner Bibliothek treffen sich jeden Monat ein Dutzend Damen zum Lesekreis

MAZ Neuruppin, 28.1.2011

Eine Gruppe Rentnerinnen diskutiert regelmäßig über Romane, die sie gerade gelesen haben oder gern noch lesen wollen.

FEHRBELLIN
Mit Else Grego kann niemand aus dem Lesekreis in Fehrbellin mithalten. Die 85-Jährige hat in 20 Jahren ganz genau 1095 Bücher gelesen. Sie führt Buch darüber. „Ich schaffe ungefähr 100 Seiten am Tag“, erzählt sie. „Besonders in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann.“ Bevor sie in Rente ging, hatte die damalige Bäuerin keine Zeit zum Lesen. „Das hole ich jetzt nach.“
Alle Bücher holt sie sich in der Fehrbelliner Bibliothek, und etwa alle sechs Wochen trifft sie sich mit einem knappen Dutzend Frauen zum Lesekreis. Gestern Vormittag kamen sie wieder in die Räume der Bücherei. „Wir machen das seit ungefähr zehn Jahren“, erzählt Doris Krehl, die Leiterin des Hauses. An den genauen Zeitpunkt, an dem die Tradition begann, erinnert sich keine der Frauen.

Auf dem Tisch liegen diverse Bücher aus der Bibliothek oder welche, die sie von zu Hause mitbringen. „Wir greifen uns dann etwas heraus und sprechen darüber“, so Doris Krehl. Alles spontan. „Ich habe beispielsweise ,Drachenläufer’ sehr gemocht“, erzählt sie. „Wann liest man schon mal eine Geschichte, die in Afghanistan spielt?“
Bibliotheksmitarbeiterin Sabine Wolski blickt in die Runde: „Hat jemand das Buch von Kirsten Heisig gelesen?“ Sie meint „Das Ende der Geduld“, in dem die Jugendrichterin über den Bildungsnotstand berichtet. Das Buch liegt vor ihnen auf dem Tisch. Sogleich beginnt ein lebhaftes Gespräch über das Thema. Die Spannbreite reicht von „Erschreckend!“ bis „Ich habe nichts Neues erfahren.“ Nicht immer sind sich die Rentnerinnen in ihren Urteilen einig. Uwe Tellkamps „Der Turm“ diskutierten sie ebenso kontrovers wie Charlotte Roches „Feuchtgebiete“. Bei letzterem Roman fiel das Wort „Schweinkram“ jedoch mehr als einmal in der Runde.

Ein starres Konzept hat die Bücherrunde nicht. Krimis kommen ebenso zum Zuge wie Historienromane oder Reiseführer. „Manchmal liest eine von uns auch vor“, sagt Doris Krehl. In der Themenvielfalt und der Intensität, wie die Frauen über Themen und Bücher diskutieren, kann es die Runde ohne Weiteres mit den Literaturtalks im Fernsehen aufnehmen. „Davon gibt es viel zu wenig“, sagt Angelika Neuhaus.
Aber eigentlich brauchen sie die Tipps aus dem Fernsehen gar nicht, denn die besten Gespräche über Bücher haben sie sowieso in ihrem eigenen Lesekreis.


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