Im Land der Spartensender

Fernsehen: Jeder bekommt sein Programm: Kirche, Küche, Einkauf – jetzt kommt Sixx

MAZ, 10.5.2010

Die Zahl der Spartenkanäle in Deutschland ist unüberschaubar. Nicht alle können jedoch überleben.

POTSDAM
Ein ganz normaler Nachmittag in Fernsehdeutschland. Beim DAF, dem Deutschen Anlegerfernsehen, laufen die aktuellen Börsenkurse durchs Bild. Zapp. Auf Sport 1 preisen zwei Herren hysterisch einen Dampfreiniger an. Teleshopping statt Sport. Zapp. Nebenan, beim Musiksender Yavido, hebt im Videoclip von Aura Dione der Eiffelturm ab. Zapp. Auf Bibel TV spricht ein Mann über falsche Beziehungen und die wahre Liebe zu Gott. Zapp. Beim Kochsender TV-Gusto manscht ein Herr im Obstsalat. „Lecker schlank“ heißt die Sendung. Zapp. Bei Sophia TV geht es im gleichen Augenblick um das leergefischte Meer und die Massentierhaltung. Zapp. Jürgen Milski, bekannt von „Big Brother“ und 9live, preist auf Glück TV ein angeblich kostenloses Notebook an. Zapp. Bei Die Neue Zeit TV sinniert ein Herr über das christliche Abendland. Zapp. Auf Dr. Dish TV werden Internet-Datingseiten getestet.

Ihnen schwirrt schon der Kopf? Dabei war das nur ein kleiner Ausschnitt des alltäglichen Wahnsinns, der sich auf Deutschlands Spartensendern abspielt. Die Anzahl geht inzwischen ins Unermessliche, die obengenannten Sender sind allesamt digital über den Astra-Satelliten frei empfangbar. Im Pay-TV ist die Zahl der Angebote noch sehr viel höher und komplett unüberschaubar.

Am Freitag kam ein weiterer Spartensender hinzu. Die Pro-Sieben-Sat-1-Gruppe in Unterföhring startete den Frauenkanal Sixx. „Wir wollten einen Namen haben, der einzigartig ist in der deutschen Medienlandschaft“, sagt Sixx-Sprecherin Tina Land im MAZ-Gespräch. Schwerpunkt sind US-Serien wie „90210“ oder „Gossip Girl“, die bereits bei Pro Sieben oder Sat 1 liefen. Deutschland-Premieren hat Sixx aber auch, darunter die niederländische Serie „Singles“ und die dritte Staffel von „The L-Word“. Im englischen Original mit deutschen Untertiteln wird die Talkshow von Oprah Winfrey gezeigt. Eigene Formate wie „Sixx – Das Magazin“ oder „Windeln und Wellness“ stehen ebenfalls auf dem Programmplan. Der Sender verzichtet auf Unterbrecherwerbepausen, allerdings sollen Sonderwerbeformen getestet werden.
Der Sendestart am Freitag war ein Coup für den Kanal: Sixx zeigte „Sex and the City – Der Film“ als deutsche Free-TV-Premiere. Pro Sieben wird ihn erst am 23. Mai senden. „Wir haben das Glück, uns aus dem Programmvolumen der Pro-Sieben-Sat-1-Gruppe bedienen zu können“, sagt Tina Land. Hinsichtlich der Einschaltquoten habe Sixx keinen Druck. „Wir sind sehr gelassen“, so die Sprecherin. Ein Problem ist jedoch die geringe Reichweite, Sixx ist bislang nur in wenigen Kabelnetzen und über Astra-Digital zu empfangen.

Das männliche Pendant, Dmax, läuft recht erfolgreich. „Für die besten Menschen der Welt: Männer“ lautet der Spruch. Der Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Männern liegt bei einem bis zwei Prozent. Große Erfolge sind die Eigenproduktionen „Der Checker“ und die Reihe um die chaotische Familie Ludolf, die einen Schrottplatz betreibt. Die schwierige wirtschaftliche Situation führt aber auch bei Dmax zu Einschnitten: Preiswertere Lizenzsendungen aus dem Mutterhaus Discovery ersetzen immer mehr Eigenformate.

Der Kochensender TV-Gusto wird sich noch im Mai aus dem Free-TV-Markt zurückziehen. Unter dem Titel Bon Gusto ist er in Zukunft innerhalb kostenpflichtiger Programmpakete zu haben.

Richtig düster sieht es um Timm aus. Timm richtet sich vor allem an homosexuelle Zuschauer, doch die Zukunft des Senders steht in den Sternen. Im Januar musste der Betreiber, die Deutsche Fernsehwerke GmbH, einen Insolvenzantrag stellen. Die Verbreitung über den Astra-Satelliten ist eingestellt, Timm sendet nur noch im Kabel und im Internet. Derzeit wird darüber nachgedacht, Timm zu einem Bezahlkanal umzubauen. Die Not macht sich im Tagesprogramm bemerkbar: Seit April sind lange Teleshoppingstrecken zu sehen. Timm startete im November 2008 mit einem ambitionierten Programm mit vielen Eigenproduktionen, musste jedoch schon bald die ersten Mitarbeiter wieder entlassen.

Das Aus für Timm wäre bedauerlich, würde in den meisten Haushalten aber sicher nicht bemerkt werden. Spartenkanäle fristen nur ein Schattendasein. Oder wer zappt sich schon täglich durch die rund 200 Sender?


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