Ein Jahr danach: Nach dem Erdbeben kam das Trauma

Gritt Gebauer aus Oranienburg und Bernhard von Schröder aus Falkensee erlebten in Taipeh eine Naturkatastrophe – wieder in der Heimat führte das Erlebte zu einem Trauma

MAZ Oberhavel, 31.3.2025

Oranienburg/Falkensee.
Es hat eine ganze Weile gedauert – inzwischen kann Gritt Gebauer darüber sprechen, was da am 3. April 2024 in Taipeh mit ihr geschehen war. Gemeinsam mit ihrem Partner erlebte die Oranienburgerin in Taiwans Hauptstadt ein schweres Erdbeben.
Ein Jahr danach hat sie es einigermaßen geschafft, das Erlebte zu verarbeiten, und am 3. April, dem ersten Jahrestag dieses Erdbebens, möchte sie eine Party schmeißen, sozusagen zum 1. Geburtstag.

Aber ganz von vorn: Am 3. April 2024 um 7.58 Uhr begann in Taipeh die Erde zu beben. Gritt Gebauer und ihr Partner Bernhard von Schröder besuchten in Taiwan ihren Sohn, der dort studiert.
Sie sind im Hotel, im 26. Stock, hoch über der Megacity, als die Erde beginnt, zu beben. Heute sagt Bernhard von Schröder: „Wir haben das total unterschiedlich erlebt“, so der Falkenseer. „Während des Erdbebens ging es mir schlechter als ihr. Ich habe überhaupt nicht begriffen, was ich jetzt machen kann.“

Es war erst ein Zittern, dann ein Beben. Das Haus begann, sich zu bewegen. So sehr, dass man nicht mehr fest auf den Beinen stehen konnte. „Es sind zwei kleine Details, an die ich mich erinnern kann“, sagt er. „Da waren diese irrsinnigen Geräusche. Das Haus hat geschrien.“
Das 30-stöckige Haus bewegte sich hin und her, der Stahl hielt alles zusammen, machte dabei aber extrem laute Geräusche. „Das werde ich nie vergessen.“ Gritt Gebauer ergänzt: „Das war so laut, dass du gedacht hast: Das kann nicht halten.“
Und danach: „Ich habe immer auf die Vorhangstange gestarrt. Die bewegte sich die ganze Zeit, auch lange nach dem Beben“, erzählt er.

Während er also eher in Aufregung und Panik war, war das bei seiner Partnerin ganz anders. „Ich habe das Erdbeben gemanagt“, sagt Gritt Gebauer heute. „Sie war im Überlebensmodus“, ergänzt Bernhard von Schröder.
Sie habe alles „abgearbeitet“, sagt sie. Sie habe sich angezogen, dafür gesorgt, dass sich ihr Mann anzieht, sich selbst im Bad noch schnell hübsch gemacht. Im Chaos habe sie funktioniert, sagt sie heute.

Im Laufe des Tages waren sie in der Stadt unterwegs, die sehr viel ruhiger war als sonst. Die Menschen in Taiwan seien solche Beben gewohnt, weiß sie. Aber auch, dass es das schwerste Beben seit 25 Jahren gewesen sei. Es hatte in der Spitze eine Stärke von 7,4. Es forderte zwölf Tote.
Darüber hinaus hielten sich die materiellen Schäden aber einigermaßen in Grenzen. „Die haben dort Vorsorge getroffen“, sagt Gritt Gebauer. Das Erdbeben zwei Jahre zuvor in der Türkei sei schwächer gewesen, „aber da stand nichts mehr“, sagt sie. In Taiwan stecke in den Gebäuden sehr viel Ingenieurskunst drin.

Es haben sich nach dem Beben viele Freunde und die Familie aus Deutschland gemeldet, nur einen Tag nach dem Beben fand per WhatsApp-Telefonie auch das MAZ-Interview statt. Für Gritt Gebauer war das damit aber nicht verarbeitet – ganz im Gegenteil. „Als wir wieder hier waren, da wurde mir bewusst: Das hast du überlebt“, erzählt Bernhard von Schröder.
Es folgte die Gewissheit: „Die Erde kann mit dir Sachen machen, da kommst du gar nicht drauf. Am Ende bist du Gast auf dieser Welt.“

Und während er sein Trauma gewissermaßen live ausgelebt hat, und wieder in der Heimat mehr oder weniger damit abgeschlossen hatte, sah das bei seiner Partnerin anders aus. Sie hat in der Situation funktioniert – die Verarbeitung begann später und entwickelte sich zu einem Trauma. Nachdem sie am Wochenende wieder zurückgekommen waren, ging die Lehrerin am Montag wieder in der Schule. „Als ich von Kollegen gefragt wurde: Willst du erzählen?: Da habe ich angefangen zu heulen“, erzählt sie. „Das habe ich vorher nicht gemacht. Ich stand dann aber im Lehrerzimmer und habe nur geheult.“‘
Der Schock über das Erlebte erreichte Gritt Gebauer nachträglich, dann aber mit voller Wucht. Sie konnte über ihr Erlebnis nicht erzählen, musste stattdessen mit den Tränen kämpfen. Als eine Lüftungsklappe Geräusche von sich gab, sei sie regelrecht zusammengebrochen. Das Geräusch verursachte eine Panik.
„Ein Kollege meinte dann irgendwann: Du tust uns hier keinen Gefallen“, erzählt sie.
Stark zu sein und arbeiten zu gehen, um es zu vergessen – das habe nicht funktioniert. Es sei klar gewesen, dass sie sich Hilfe suchen musste. Nach einiger Zeit des Suchens wurde ihr eine Heilpraktikerin vermittelt.
„Bis Januar war ich dann regelmäßig dort“, sagt Gritt Gebauer. Denn oft sei es so, dass mit so einem Trauma alles hervorgeholt werde, was die Psyche in den vergangenen Jahren oder gar Jahrzehnten eingesteckt hat. „Es kam alles hoch.“

Das Problem war nicht das Erdbeben selbst, sagt sie heute. „Das Problem war der Kontrollverlust, der mit dem Erdbeben verbunden war.“ Vielleicht sei das der Grund gewesen, warum sie im Kontrollverlust versucht habe, die Kontrolle über die Situation zu behalten.
Tatsächlich hinterlassen solche Naturkatastrophen wie dieses Erdbeben oft nicht nur große materielle Verluste, sondern führen auch zu psychischen Schädigungen, wie die Diplompsychologin Marion Sonnenmoser im Deutschen Ärzteblatt sagt. Traumata stünden dabei an erster Stelle.
Es gebe verschiedene Studien, bei denen das Ausmaß der Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Überlebenden ermittelt wurde: 14 bis 56 Prozent der Betroffenen einer solchen Katastrophe würden das erleben.

Am 3. April jährt sich die Katastrophe zum ersten Mal. An diesem Tag wollen Gritt Gebauer und Bernhard von Schröder eine Party feiern. „Lasst uns aufs Leben anstoßen“, sagt er. „Das ist ein guter Therapieschritt.“
„Verrückterweise bin ich aber jetzt auch dankbar dafür, dass ich das erlebt habe, weil ich jetzt weiß, dass mein Sohn da gut versorgt ist. Ich weiß, er ist da sicher. Ja, das ist ganz merkwürdig.“ Aber die Erdbebenvorsorge werde dort ganz großgeschrieben.
Aber nicht nur das: „Wir planen unsere nächste Reise nach Taiwan“, sagt sie. Allerdings wollen sie nicht mehr in einem Hochhaus wohnen. Mit einer Ausnahme: „Teil meiner Bewältigung wird schon sein, eine Nacht noch mal in diesem Hotel zu schlafen.“


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