Die Mitte der Welt

Wo ist sie eigentlich, die Mitte der Welt? Also, nicht zwingend die der ganzen Welt. Sondern die unserer eigenen? Wo findet man die?
Phil (Louis Hofmann) ist 17 und dabei, es rauszufinden.

Er kommt aus dem Sommercamp wieder, und es ist nur noch wenig so, wie vorher. Ein heftiger Sturm hat den Wald und den Garten zerfetzt. Und auch zu Hause, in der Villa „Visible“, gibt es Verwerfungen. Seine Mutter Glass (Simone Timoteo) und seine Zwillingsschwester Dianne (Ada Philine Stappenbeck) gehen sich aus dem Weg.
Dass sie ein besonderes Leben führen, ist er gewöhnt. Wer sein Vater ist, weiß Phil nicht. Es ist ein Geheimnis seiner Mutter. Die hatte im Laufe der Welt immer wieder Männer, die aber schnell wieder Geschichte waren. In der Reihenhaussiedlung am Rande der Kleinstadt, haben sie ein sehr besonderes Haus: efeuumrankt, geheimnisumwittert, leicht runtergekommen. Man sieht sie schief an, in dieser Siedlung.
Als sich aber Phil in einen Mitschüler verliebt und er dann tatsächlich mit Nicholas (Jannik Schümann) zusammen ist, die erste Liebe erlebt, treten die Familienprobleme in den Hintergrund. Aber nur kurz…

„Die Mitte der Welt“ ist die Verfilmung des 1998 erschienenen Romans von Andreas Steinhöfel, der auch die „Rico und Oscar“-Bücher rausgebracht hat.
Erzählt werden auf den ersten Blick mehrere Geschichten – aber ganz am Ende wird man feststellen: Alles hängt miteinander zusammen. Der Film ist Familiendrama und Liebesschnulze.
Das dunkle Geheimnis, das die Familie ummantelt, wabert durch den ganzen Stadt. Da muten die Liebesszenen mit Phil und Nicholas zwischendurch reichlich grotesk an. In geradezu unverschämter Weise werden da Klischees bedient – sofort wird aus den Jungs ein Paar, unter der Dusche in der Sportumkleide geht alles ganz schnell perfekt, alles ist super. Es mag nicht zurecht zum Rest des Films passen. Zunächst. Bemerkenswert aber ist, dass es sich für Phil nicht um ein Coming Out handelt. Sein Schwulsein ist völlig normal. Bei seiner Mutter, bei seiner besten Freundin, bei anderen Verwandten.
Diese Klischeeliebe passt dann aber doch. Denn Phil erlebt das, was auch seine Mutter immer und immer wieder erlebt – die große Liebe, alles ist toll und stürmisch, der Sex großartig. Dann aber geht es ans Eingemachte: Um Gefühle. Um Liebe. Darum, dem anderen nah zu sein, nicht nur sexuell. Denn Phil will mehr, nicht nur Sex. Phil muss da noch seine Erfahrungen machen, und es wird sich zeigen: Er muss es anders machen, als es seine Mutter getan hat – Zeit ihres Lebens.
In diesem Film sehen wir eine Familie auseinanderbrechen – weil alle schweigen. Weil alle Mauern bilden. Und selbst Phil sieht nur zu. Greift nicht ein. Er braucht erst eine klare Ansage.
Die Schauspieler sind toll – nur am Anfang holpert es, wenn hölzern noch irgendwas in Jugendsprache rumerzählt wird. Doch das gibt sich. Louis Hofmann ist einmal mehr großartig. Sein männlicher Gegenpart Jannik Schümann als glühender, aber dennoch verschlossener Liebhaber spielt ebenfalls gut, wirkt neben Hofmann jedoch zu alt.
Es sind viele kleine und große Rollen in diesem Film, die ebenfalls toll zur Geltung kommen und die der Geschichte eine Bedeutung geben. Der neue Freund der Mutter, der so anders ist als die anderen davor. Die beste Freundin, die an Phils Seite ist, aber einen schlimmen Fehler begeht. Und so weiter.
Fesselnd, berührend, aufwühlend, auch klug. Das ist „Die Mitte der Welt“, von der Phil dann auch rausfindet, wo die ist.

Die Mitte der Welt
D 2016, Regie: Jakob M. Erwa
Universum, 115 Minuten, ab 12
9/10


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