ZAPPER VOR ORT: Alfi Hartkor in Marwitz

SA 24.04.2010 (So.) | Marwitz, Beat-Fabrik

Als Alfi Hartkor „Verdammt, ich lieb dich“ von Matthias Reim ins Mikro brüllte, drohte die Stimmung in der Marwitzer „Beat-Fabrik“ endgültig umzukippen. Das Publikum war ungehalten, der Tanzraum leerte sich.
Bis zum Auftritt des 29-Jährigen war die Welt in Ordnung. Die Disco war voll, alle amüsierten sich. Technobeats schallten auf die Tanzfläche. Aber dann kam er: Alfi Hartkor. Mit grauer Hose und Schlabberpulli stand er auf der kleinen Bühne und machte ungelenke Bewegungen. „People!!“, grölte er ins Mikrofon.
Die Gesichter der Gäste sprachen Bände. Es war alles dabei: Belustigung, Fremdscham und blankes Entsetzen.

Alfi Hartkor? Wer ist das? Der junge Mann nahm im Herbst 2009 am Casting von „Deutschland sucht den Superstar“ teil. Im Januar 2010 strahlte RTL die Bilder aus. Vor der Jury sang er einen Song von Scooter. Aber anstatt „I Feel Hardcore“ grölte er „Alfi Hartkor“ und hatte somit seinen Namen weg. Dazu wedelte er mit den Armen und hüpfte seltsam.
Dieter Bohlen und seine Jurykollegen verweigerten ihm die Teilnahme am Recall.
Dennoch nahmen Produzenten Kontakt mit Alfi auf, der in Wirklichkeit Andreas heißt. Die Single „Schneller – härter – Andy“ schaffte es in den Charts bis auf Platz 112. Freitag gastierte er in der Disco in Walsleben, am Tag danach in Marwitz.

„Hey, das geht ab!“ grölt Alfi Hartkor in sein Mikro. Die Menge feiert, sie kennt den Song. Alfi springt von der Bühne und läuft in die Massen. Am Ende ruft er: „I love you too much!“ Das heißt so viel wie „Ich liebe euch zu sehr!“, aber so genau wird Alfi sowieso nicht wissen, was er da sagt. „Rampensäue!“, ruft er dann noch. Irgendwer ruft tatsächlich noch nach einer Zugabe, und Alfi bringt sie: „Verdammt, ich lieb dich“ von Matthias Reim. Als er beim Refrain angekommen ist, ist sein Hintergrundplayback noch lange nicht so weit. Alfi improvisiert.
Die Stimmung im Saal droht zu eskalieren. Einige zeigen Alfi den Stinkefinger, ganz vereinzelt fliegen Gegenstände Richtung Bühne. Schließlich müssen die Ordner Alfi von der Bühne schieben. Er wäre sonst noch länger geblieben.
Die Party geht weiter, und die Stimmung steigt wieder.

Alfi gibt später noch Autogramme, und viele lassen sich mit ihm fotografieren. Ein Pärchen lässt sich den Schriftzug „ALFI“ auf ihre nackten Bäuche schreiben.

Später treffen wir Alfi Hartkor im Backstage-Bereich. Er ist zufrieden mit seinem Auftritt, in Walsleben sei er aber noch besser drauf gewesen, sagt er. „Ich bin praktisch der zweite H. P. Baxxter von Scooter.“ Er ist sein Vorbild. Als Alfi wird er auf der Straße erkannt, Autofahrer stoppen und rufen „Hyper, Hyper!“
Warum er dennoch nicht nur Scooter-Songs singt (wenn man das denn so nennen kann), begründet er damit, weil für jeden Geschmack was dabei sein solle. Der Reim-Song richte sich an die Frauen. „Damit sie dahinschmelzen“, so Alfi Hartkor. Er meint das ernst. Er meint das alles ernst.
Dass er Erfolg habe, merkt er daran, dass die Videoclips bei Clipfish und Co. unzählige Male angeklickt würden. Und immerhin durfte er ja in der Top-15-Show von DSDS auch auftreten – und wurde zum schrägsten Kandidaten der aktuellen Staffel gewählt. Er durfte auf die Live-Bühne, das macht ihn stolz.
Vor ihm liegt sein Textzettel. Die englischen Wörter stehen darauf in Lautschrift: Yez, aim dse man.“ So lernt er seinen Text.

Es ist eine seltsame Mischung, die sich breit macht, wenn man mit Alfi zu tun hat. Beobachtet man seinen Auftritt, ist es wirklich bitter. Der Anblick des jungen Mannes, der da auf der Bühne steht und … was genau er da eigentlich macht, bleibt unklar…
macht jedenfalls betroffen. Ein einziges Auweia.
Spricht man dann mit ihm, ist es zwar tatsächlich so, dass er gut findet, was er da macht, realistisch ist er trotzdem: Sein Erfolg werde nur kurz sein, sagt er. Deshalb werde er seinen Beruf nicht aufgeben. Alfi ist Maler, sitzt also fest im Sattel des Alltagslebens.

Der Auftritt in Marwitz wird wahrscheinlich sein Letzter gewesen sein. Immerhin verlangen seine Manager für den Auftritt 1500 Euro – so steht es für alle sichtbar im Internet. Alfi selbst bekommt davon nicht ganz so viel. Sein Ziel aber: einmal bei Oliver Pocher oder Stefan Raab auftreten. Das wird ihm wohl kaum noch gelingen.

Wer Alfi Hartkor kennenlernt, bekommt einen kleinen Einblick in die DSDS-Maschinerie. Es erklärt, warum auch die Untalentierten vor der Bohlen-Jury so selbstbewusst sind. Warum viele von ihnen geschockt sind, wenn sie als schlecht betitelt werden (oder schlimmer in der Wortwahl Bohlens).
Alfi erzählt, dass er vor dem Fernsehcasting bereits bei einem Vorcasting war. Eine ihm unbekannte Jury saß da vor ihnen. Sie entschieden, dass er vor Bohlen und Co. auftreten darf. Dass er quasi eine Runde weiter ist.
Was viele der Kandidaten nicht bedenken: Es geht dabei nicht darum, dass die Guten weiterkommen, sondern der Querschnitt der Kandidaten. Die Guten, die Miesen, die Freaks, die ganz Üblen. Wenn sie also ins RTL-Castingstudio kommen, halten sie sich schon mal für was Besseres.

Auch wenn man es vielleicht anders denkt: Alfi Hartkor scheint sich wohlzufühlen, mit dem was er da macht. Für ihn ist das, was er auf der Bühne macht, gut. Das Publikum macht mit. Dass das nicht nur ein positives Echo ist, bekommt er nicht so genau mit. Er lebt in seiner eigenen Glemmerwelt. Aber das ist in Ordnung. Zumindest für ihn. Er hat seinen Ruhm. Er weiß, dass der vergänglich ist. Und er wird immer mit guten Erinnerungen daran denken. Wenn dann alles vorbei ist, geht er weiter ganz normal arbeiten, und ab und zu sieht er sich in den DSDS-Rückblicken und denkt an seine aufregendste Zeit.
Wir sehen das Spektakel als Zuschauer vielleicht mit Entsetzen, und eigentlich hätte diesen Auftritt niemand gebraucht. Aber Alfi war mal berühmt. Ihm haben alle zugesehen. Er wird noch lange davon sprechen und beseelt sein.

*
Übrigens: Die „Beat-Fabrik“ in Marwitz gibt es noch. Neulich lief auf ProSieben innerhalb von „taff“ die Reihe „Sem – Der Clubretter“, und es sah so aus, als ob die Disco auf dem letzten Loch pfeift, niemand mehr kommt und bald Schluss ist. Das ist nicht so. Allerdings: Nach der Fernsehausstrahlung vorletzte Woche kam tatsächlich niemand. Das, was ProSieben gedreht hat und das, was dann ausgestrahlt wurde, war wohl nicht so richtig deckungsgleich. Die Party in der Nacht zu Sonntag war jedenfalls sehr gut besucht.


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