Eurovision Song Contest 2023

SA 13.05.2023 | 21.00 Uhr | Das Erste

Selten war ich über das Ergebnis nach dem Voting so enttäuscht wie beim 2023er Eurovision Song Contest.
Cha Cha Cha! Ich hätte Finnland den Sieg so sehr gegönnt. Käärijä sorgte beim ESC in Liverpool für die beste, für die außergewöhnlichste, lustigste und abwechslungsreichste Performance – dazu ein Song, der auch alles bot – harten Rock und Schlager. Was zum Mitgrölen und mitträllern.
Finnland landete auf Platz 2 – stattdessen hat der ganz große Favorit Schweden gewonnen. Loreen hat zum zweiten Mal gesiegt, diesmal mit „Tattoo“. Unbestritten ein großartiger Song mit einer tollen Performance. Schweden gewann das Juryvoting, Finnland das Publikumsvoting – aber es reichte nicht, Schweden zu übertrumpfen. Aber ganz klar: Platz 1 und 2 konnten sich sehen lassen.

Ganz klar ist aber auch: Der ESC-Jahrgang 2023 ist ein eher unterdurchschnittlicher. Viele okaye Songs, nur wenige Länder stachen heraus oder boten Hits für die Ewigkeit.
Überzeugen konnte Italien. Marco Mengoni, nach 2013 das zweite Mal dabei, hatte einen berührenden Song, und seine Stimme macht sowieso was her – Platz 4. Dazwischen schob sich Israel mit Noa Kirel, mit einem schnellen Popsong – und tanzen kann sie auch.
Ich mochte die ruhigen Songs aus der Schweiz und Zypern, die Elektro-Rock-Nummer aus Australien (die übrigens das 2. Halbfinale gewonnen haben) und die Band aus Slowenien.

Ebenfalls klar ist: Die Briten können Show. Auch wenn der Jahrgang in Sachen Songs nicht der ganz große Bringer war – die Show war erstklassig. Weil der ESC 2023 eigentlich hätte in der Ukraine stattfinden sollen und wegen des dortigen Krieges nach Großbritannien verlegt wurde, wurde an diesem Abend eine Brücke zwischen diesen beiden Ländern geschlagen. Viele Musiker aus der Ukraine traten auf, an viele Songs aus Großbritannien und Liverpool wurde erinnert. Jamala war da, ebenfalls Go_A. ESC-Stars sangen im „Liverpool-Songbook“ UK-Hits. Das war alles sehr stimmig – außer vielleicht die „Imagine“-Version von Mahmood.

Tja, und was soll man dazu sagen. Deutschland ist wieder Letzter. Mit gerade mal drei Punkten aus der Jurywertung und 15 Punkten aus dem Publikumsvoting – mit Punkten aus unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz und aus Finnland.
Hat uns echt keiner mehr lieb? Hatten die Jurys einen schlechten Tag? Hat das Publikum unseren Beitrag nicht verstanden?
Das sind natürlich die falschen Fragen. Denn natürlich müssen wir uns zuerst fragen: Was war falsch mit unserem Song? Dazu könnte man so viel sagen.

„Blood & Glitter“ von Lord of the Lost war halt nicht gut genug. Es hat nur fünfmal zu Platzierungen in den Top 10 gereicht – denn nur die Top 10 bekommt ja überhaupt Punkte.
„Blood & Glitter“ war dann eben doch nicht innovativ genug. Es war nicht wirklich Rock, nicht wirklich Pop. Der Song ging zwar ab, wurde aber immer wieder durch ruhige Vocals gebremst, an einigen Stellen wirkte das Lied etwas wirr in der Komposition. Aber auch der Frontmann konnte nicht überzeugen. Was will er sein? Rocker? Dazu stand er die ganze Zeit zu brav auf der Bühne rum, während seine Bandkollegen ordentlich abgingen. Und was ganz schlecht ist: Eine grell-rote Klamotte zu tragen, wenn der Bühnenhintergrund grell-rot ist. Den Frontmann hat man öfter kaum erkannt, weil Rot-in-Rot einfach zu miesen Bildergebnissen führt.
Der Song zu unentschlossen – gerade im Vergleich zu Finnland -, die Performance eher geht so. Das führt nicht zu vielen Punkten.
Und wenn die Deutschen jetzt rumheulen, dann ist das auch ein Stück weit heuchlerisch. Stand „Blood & Glitter“ auf Platz 1 der Charts, weil wir den Song alle auch so toll fanden? Fanden wir ihn nur ganz okay oder ging ein Ruck durch Deutschland? In meine Playlist hat das Lied es nie geschafft, und auch im Wettbewerb hatte ich ihn nur auf Platz 15 gesetzt – das wären genau null Punkte gewesen.
Und wenn man jetzt sagt: Ihr wolltet es ja nicht anders, ihr hättet ja im Vorentscheid jemand anderes wählen können. Dann frage ich zurück: Wen denn? Ikke Hüftgold? Indiskutabel. Und an die anderen kann sich keiner mehr erinnern – weil: sehr egal und schnell vergessen.
Aber woran liegt das? Sind die Leute, die die Songs für den Vorentscheid auswählen, nicht gut genug? Werden falsche Kriterien angelegt? Oder ist Deutschlands Musikerbranche nicht gut genug und nicht in der Lage, gutes ESC-Material abzuliefern? Brauchen wir vollkommen neue Ideen für den Vorentscheid? Fragen über Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen.
Aber einfach nur bockig auf die anderen zu zeigen und den anderen Ländern Ahnungslosigkeit vorzuwerfen oder so tun, als würde uns einfach keiner leiden können – das ist schlicht zu billig und denkfaul.

PS: Alles Gute, Peter Urban!

-> Die Sendung in der ARD-Mediathek (bis 13. Mai 2024)


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