Prinz Harry: Reserve

Zunächst mal: Egal, wie man zur britischen Monarchie steht oder zu Prinz Harry – eine spannendere Soap hat man in Buchform vermutlich selten in die Hand bekommen. Denn bei allem, was die Autobiografie von Harry auch ist: Vor allem ist es eine Soap, und das wirklich Spannende dabei ist: Die Soap ist – wenn der Prinz immer die Wahrheit schreibt – real.

Seit Prinz Harry auf der Welt ist, schreibt die Presse über ihn. Über seine guten Zeiten, über seine Verfehlungen, seine Skandale. Die Presse war belustigt, empört und… also, eigentlich ist sie meist empört. Denn Empörung bringt Kohle in die Kassen.
Bislang haben also vor allem andere über Prinz Harry und seine Familie geschrieben. Jetzt ist er es selbst, der ausführlich darlegt, wie er denkt, wie er fühlt, was er erlebt hat – und auch: was er nicht erlebt, die Presse aber behauptet hat, was er denn erlebt habe.

„Reserve“ heißt das Buch von Prinz Harry. Und es könnte genauso gut „Jetzt rede ich“ heißen.
Schon jetzt ist es ein Bestseller, und alles andere wäre auch überraschend gewesen. In Deutschland hat der Penguin-Verlag das Buch rausgebracht, und man wollte so schnell wie möglich, dass es nach den Starts in den USA und Großbritannien auch auf Deutsch auf den Markt kommt. Das könnte der Grund sein, warum das Buch von gleich fünf Übersetzern eingedeutscht worden ist.

Harry ist die Reserve, denn sein Bruder William – Willy – ist der Thronfolger, er war nur die Nummer 2, inzwischen ist er die Nummer 5 in der Thronfolge. Aber wie fühlt es sich an, „nur Reserve“ zu sein?
Er berichtet von seiner Kindheit, vom Tod seiner Mutter Diana, von dem Moment, als sein Vater ihm gesagt hat, was passiert ist. Wie er lange nicht geglaubt hat, dass seine Mutter tot sei. Wie er dachte, sie habe ich nur versteckt, wegen der Presse, von der sie immer wieder verfolgt worden war. Von Partyaussetzern, als er sich als Hitler verkleidet hatte. Von seiner Zeit bei der Armee. Wie er Meghan kennengelernt hat.

Prinz Harry gibt in seinem Buch wohl nie dagewesene Einblicke ins britische Königshaus. Wie er sich mit Willy immer wieder gestritten hatte. Von der Reserviertheit seines Vaters.
Harry geht davon aus, dass es Mitarbeiter im Stab des Königshaus gibt, die immer wieder Storys über ihn und andere an die Presse durchgedrückt haben.
Es geht um Zweifel, Ängste, Depressionen. Darum, wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen, Etiketten einzuhalten und was Fehltritte auslösen.

Gerade diese internen Geschichten werden auch wieder von der Klatschpresse ausgeschlachtet – begleitet von der Frage, ob Harry das alles nur für Geld auspackt. Und was er denn erreichen wolle, ob er das alle nötig habe.
Wer das Buch liest, wird zu dem Schluss kommen: Er hat es nötig. Es scheint bitter nötig, dass er alles mal aus seiner Sicht erzählt.
Denn was in der Klatschpresse im Zusammenhang mit dem Buch natürlich kaum diskutiert wird, ist die Klatschpresse. Denn das ist eines der Leitmotive dieses Buches.
Und es sind wirklich ein Haufen krasser Momente, von denen Harry erzählt. Wie die Presse den Tod Dianas ausschlachtet. Wie sie ihn selbst auf Schritt und Tritt begleiten. Er hat eine neue Freundin? Die Paparazzi beginnen sofort im Leben dieser Mädchen zu wühlen, drangsalieren sofort ihr Umfeld – was die Frauen nicht mitmachen wollen. Harry musste Auslandseinsätze bei der Armee abbrechen, weil die Presse verraten hat, wo er sich aufhalte. Immer wieder berichtet Harry im Buch von Begebenheiten – und erwähnt nebenbei, was die Presse darüber berichtet habe, und wie falsch das gewesen sei. Immer wieder erwähnt er Presseberichte, von denen er sagt, sie seien erfunden gewesen.
Und wirklich krass beschreibt er, wie die Presse auf Meghan losgegangen ist. Lügen, Übertreibungen, Verdrehungen – bis hin zu rassistischer Hetze.
Fast schon erschütternd – und es macht auch wütend. Und, ja, deshalb hat Harry es nötig, das alles mal zu erzählen.

Unabhängig davon: Das Buch ist sehr gut geschrieben, stellenweise wirklich toll. Gemeinsam mit seinem Ghostwriter J. R. Moehringer hat er ein Werk geschaffen, das sich sehr gut liest. Es wirkt in der Tat, als wenn Harry vor einem steht und erzählt. Manchmal flapsig, manchmal heiter, oft sehr spannend – und ans Herz gehend: Die Schilderungen, wie er den Tod seiner Mutter erlebt hat, sind geradezu ergreifend.
Man stößt hier und da an Passagen, bei denen man denkt: War das wirklich so? Gerade wenn es um Begebenheiten rund um seine Familie geht. Aber er legt immer wieder wert darauf, dass er schreibt, woran er sich erinnert. Es kann gut sein, dass manchmal die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Völlig unglaubhaft ist Harry jedoch an keiner Stelle.

Da Buch endet mit einem Epilog – mit dem Tod von seiner Oma, von Granny, von Königin Elizabeth II.
Harry ist jetzt 38, und nach 503 Seiten denkt man: Echt zu Ende? Doch bis zu einer Fortsetzung würde es wohl ein paar Tage dauern… Ich würde sie jedenfalls lesen…

Prinz Harry: Reserve
Penguin, 507 Seiten
10/10


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