Willi Achten: Die wir liebten

Die westdeutsche Provinz, in den 70ern. Edgar und Roman sind Brüder, und sie haben fast alles gemeinsam. Sie haben viele Freiheiten, stromern in der Gegend rum.
Die Mutter hat einen kleinen Lottoladen, der Vater eine Bäckerei. Doch die Familie droht auseinanderzubrechen. Mutter und Vater haben sich nicht mehr viel zu sagen, und es scheint, als ob der Vater eine Affäre hat. Die Mutter wird unterdessen krank, kann den Laden kaum noch führen.
Nach einem von den Jungs verursachten Brandanschlag haben die Behörden sie auf dem Kieker. Als sich die Eltern dann tatsächlich trennen, kommen die Jungs in ein Heim. Wo Kinder und Jugendliche nicht nur gequält werden, das Personal hat teilweise schon in Nazizeiten Furchtbares getan.

„Die wir liebten“ heißt der Roman von Willi Achten. Er erzählt von einer Zeit in Deutschland, in der einerseits ein neuer Wohlstand herrschte. Es wird aber immer wieder deutlich, dass die Nazis oder ihre Anhänger auch gut 30 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches immer noch an verschiedenen Stellen das Sagen haben. Die Stimmung ist konservativ, für die Jungs ist das oft bedrückend.
Die eigentliche Geschichte, die der Roman laut Klappentext erzählt, beginnt allerdings erst im letzten Drittel. Das ist ein bisschen ein Manko. Alles, was davor erzählt wird, erzählt ein grundsätzlich interessantes Sittenbild. Die Unsicherheit der Jungs ist spürbar, die Szenen, die die Angst um das Weiterbestehen der Familie erzählen, sind fesselnd. Das gilt leider nicht für die ganze Story. Es ist schwer, wirklich in die Geschichte zu kommen – auch wenn das Setting interessant ist, die Umsetzung ist ein wenig langatmig.
Das ändert sich, wenn der Roman die Zustände im Jugendheim erzählt. Das macht fassungslos, was da alles abgeht, was für Menschen ihr ekliges Weltbild da ausspielen können.
Dieses letztes Drittel rettet diesen Roman, was die Spannung angeht.
PS: An einer Stelle unterläuft dem Autor ein unbemerkter Fehler: In Frankfurt fahren die Jungs später am Willy-Brandt-Platz vorbei. Der lebte jedoch damals noch, und der Platz hieß Theaterplatz. Ist keinem aufgefallen. Was soll’s. Sorgt für einen Schmunzler.

Willi Achten: Die wir liebten
Piper, 383 Seiten
6/10


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