Germany 12 Points – Der deutsche ESC-Vorentscheid

FR 04.03.2022 | 21.00 Uhr | Das Erste

Malik Harris wird mit „Rockstars“ für Deutschland am Eurovision Song Contest 2022 in Turin teilnehmen. In der Hoffnung, dass er auch tatsächlich stattfindet.
Er ging am Freitagabend als Sieger der Show „Germany 12 Points – Der deutsche ESC-Vorentscheid“ hervor. Es ist ein Song, mit dem ich gut leben kann und der in der in der Show auch zu den besten gehörte.

Aber dennoch nahm mit der Sendung ein langer Streit vorerst ein Ende. Und leider muss man auch sagen: Die Show hat den Kritikern ordentlich Futter gegeben. Denn die Umsetzung war relativ mau, und in der Live-Situation verloren zwei Künstler an diesem Abend leider auch noch ihre Nerven. Hinzu kommen Pannen und ein Verkündungsdesaster beim Radiovoting, außerdem eine unzureichende Umsetzung der Einbettung in die Ukraine-Spendensammlung. Was fast schon zu der Frage führt, ob Deutschland keine guten Showproduzenten (mehr) hat.

Ursprünglich sollte die Show in diesem Jahr nur bei one und in den Dritten Programmen laufen. Die Begründung dafür war bekloppt (genau genommen gab es keine, die wirklich schlüssig und glaubhaft war). Dann aber entschloss man sich bei der ARD, die Show zwar um 45 Minuten zu verschieben, sie dann aber doch auch im Ersten zu senden – eingebettet in einen Spendenabend für die Ukraine.
Das hat man aber in der Show nicht wirklich gut genug umgesetzt. Zwar ist den Machern der echte Coup gelungen, dass Jamala, die ukrainische ESC-Gewinnerin von 2016, nach ihrer Flucht in der Show zu Gast war. Auf ergreifende Weise sang sie ihren Gewinnersong „1944“, der durch den jetzigen Krieg eine neue Bedeutung bekommt. Aber beim Interview danach versagte die Simultandolmetscher-Technik, was nicht nur bei Moderatorin Barbara Schöneberger zu einem verärgerten Seitenblick führte. Ansonsten aber gab es nicht wirklich Bezüge zur Situation. Zum Beispiel hätte man das Televoting mit einer Geldspenden verbinden können, wie es auch in einem der anderen ESC-Länder umgesetzt wurde.

Die Auswahl der sechs Vorentscheid-Songs sorgt seit Wochen für Wirbel. Einerseits weil Fans der Band Eskimo Callboy fordern, dass die ausgeschiedene Gruppe Eskimo Callboy gefälligst noch dabei zu sein hat. Dabei hat es ja eventuell noch andere Künstler gegeben, die nach Ansicht der Jury noch besser waren als diese Band. Mit einer riesigen Vehemenz prügelten die EC-Fans auf den NDR, die ESC-Leute und die Jury ein. Ein Vorgang, der bei mir allerdings eher dafür gesorgt hat, dass mir Eskimo Callboy eher unsympathisch geworden sind. „Pump it“ ist nett, aber zurecht nicht im Vorentscheid gewesen, weil der Hardrockteil einfach nicht gut genug war.

Allerdings zeigte sich am Freitagabend, dass die Auswahl der sechs Songs unzureichend war. Emily Roberts hatte mit „Soap“ eine Nummer, die man bei anderen Ländern im großen Wettbewerb zum Trash zugezählt hätte. Live hatte sie zudem ihre Stimme nicht im Griff, und dann vergaß sie auch noch ihren Text und lief stammelnd über die Bühne. Auch beim Team Liebe gab es einen Texthänger, der aber nicht so offensichtlich war. Mein Favorit Eros Atomos hatte mit „Alive“ zwar den besten Song, er selbst aber konnte sich nicht gut verkaufen, im Interview mit Barbara Schöneberger blieb er ziemlich schüchtern-einsilbig.

Wenn Malik Harris in Turin auf der Bühne stehen wird, dann haben die deutschen ESC-Leute hoffentlich mit ihm eine gute Show erarbeitet, denn was wir am Freitag gesehen haben, ist wirklich noch sehr ausbaufähig.
Aber überhaupt: Die Umsetzung der Bühnenshows war mehr als lahm. Mehr als eine Totale, Schwenks nach links und rechts mit dem Kamerakran und ein paar Großaufnahmen scheinen nicht drin gewesen zu sein. Das war echtes Oldschool-Fernsehen und alles andere als modern.

Wirklich peinlich war die Verkündung des Radiovotings. In der Woche zuvor und bis zum selben Abend konnten die Hörer der ARD-Popwellen online abstimmen. Crazy Idee: Jeder Sender stellte seine Gewinner vor mit immer eigenem Voting. Was natürlich ungerecht ist: Bremen, das Saarland und Berlin-Brandenburg sind immer noch kleiner als das WDR-Sendegebiet. Absolut Murks. Der Gipfel aber: Bis auf kleine Abweichungen präsentierten die neun Radiosender identische Abstimmungsergebnisse, nur mdr Jump und Bayern 3 scherten ganz leicht aus.
Ein Regie-Super-Gau. Das führte sehr schnell dazu, dass sich alle unwohl damit fühlten – die Moderatoren, die immer dasselbe aus den Umschlägen holten, und für die Künstler war das auch unangenehm. Das Voting war ganz sicher schon länger vorher bekannt. Die Regie hätte entscheiden müssen, die Bekanntgabe des Voting gemeinsam zu gestalten.

Es ist ganz klar: Beim NDR wird man weiter sehr darüber nachdenken müssen, wie man den ESC-Vorentscheid 2023 gestalten möchte. Das Radiovoting hat sich – wie erwartet – nicht bewährt und ist schlicht unlogisch, weil der ESC auch von der Show, vom Live-Auftritt lebt. War „Soap“ bei den Airplays ganz vorn, kackte er beim Voting völlig ab – im Radio und Fernsehen – und völlig zurecht, und man fragt sich, ob das Popradio am Geschmack der Leute vorbeisendet. Und ich werde auch nicht müde zu sagen: Schaut nach Schweden, schaut nach Italien und zu den Spektakeln, die man dort wochenlang veranstaltet. Mit einem nationalen Musikfest sucht man dort nach den ESC-Kandidaten.

-> Die Show in der ARD-Mediathek (bis 4. März 2023)


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