Punkt 12: Familiendrama in Solingen

FR 04.09.2020 | 12.00 Uhr | RTL

Eine grauenvolle Tat. In Solingen soll eine 27-Jährige fünf ihrer sechs Kinder getötet haben. Nur ihr elfjähriger Sohn überlebte. Die Frau warf sich dann vor einen Zug und wurde schwer verletzt.
Alarm! Bei den Leuten von den Boulevardmedien setzte Schnappatmung ein und das Gehirn aus.

RTL postierte am Donnerstag die Reporterin Alexandra Callenius in Solingen. Sie berichtete über die Einzelheiten dieser Tat. Mit wichtigem Blick erklärte sie, dass man noch nichts Genaueres weiß. Aber man vermutet, dass… Das und das soll passiert sein. Man behauptet, dass… Und es ist alles sehr, sehr unklar.
Und sonst so? Die Gegend sei anonym, keiner spreche miteinander. Und wie sind eigentlich die Kinder gestorben? Ja, das wolle die Polizei nicht sagen, vielleicht wisse sie das auch noch nicht, aber es gebe das Gerücht, dass es so und so geschehen sei, aber wie gesagt, sie sage das alles im Konjunktiv, weil ja niemand so genau was wisse, aber man muss es trotzdem zwingend schon in die Kamera plaudern.

Klar, das war alles sehr dünn, was da am Donnerstagnachmittag live bei RTL.de im Internet erzählt worden ist. So dünn, dass Alexandra Callenius noch ein bisschen weiterbohren musste. So zerrte dann das RTL-Team einen Zwölfjährigen vor die Kamera. Unverpixelt und mit vollem Namen wurde der Junge zu seinem besten Freund befragt – zum Elfjährigen mit dem grauenvollen Schicksal. Zur Sprache kam auch ein WhatsApp-Chat, dessen Screenshots RTL zeigte.
Auch in „Punkt 12“ am Freitagmittag zeigte RTL diese Screenshots. Diese intimen schriftlichen Dialoge, geschrieben zu einem Zeitpunkt der tiefsten Erschütterung eines Minderjährigen.

Diese Schnappatmung bei den RTL-Leiten und die Aussetzung des Gehirns hat vermutlich dazu geführt, dass die beim RTL nicht mehr so richtig ticken. Irgendwie nicht mehr ganz rund laufen.
Anders kann man sich diesen journalistischen Bankrott nicht erklären. RTL beruft sich darauf, dass sie die Mutter des Zwölfjährigen gefragt haben, ob sie ihn interviewen dürfen. Nun kann man sich zwar fragen, was das für eine Mutter ist, die ihren Sohn diesem Medienterror aussetzt, man kann aber auch fragen, was da beim RTL schief gelaufen ist. Wie man auf die Idee kommt, ein Kind vor die Kamera zu zerren, um ihn über den traumatischen Moment des besten Freundes erzählen zu lassen.

RTL hat das Material am Freitagnachmittag gelöscht. Für diese Fehlleistung aber um Entschuldigung zu bitten? Niemals! Schließlich habe doch die Mutter… und so weiter.

Dass die Bild-Zeitung später nachzog und auch den WhatsApp-Chat der beiden minderjährigen Jungen, der beiden Kinder veröffentlichte, sorgte dann für einen absolut verdienten und berechtigten Shitstorm. Dass Bild-Chef Julian Reichelt gar nicht so richtig verstehen will, was eigentlich das Problem ist, zeigt eigentlich nicht noch die absolute Gewissenlosigkeit dieses Mannes und seines Teams. Bei Twitter trendete der Hashtag #Drecksblatt. Mehr muss man dazu gar nicht sagen.

-> Einer der Live-Beiträge auf der RTL-Facebook-Seite


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Kommentare

2 Antworten zu „Punkt 12: Familiendrama in Solingen“

  1. ThomasS

    RTL hat sich nachträglich entschuldigt.

  2. RT

    Na ja, geht so. Nur in internen Mails haben sie den Fehler eingesehen, aber soweit ich weiß nicht in der öffentlichen Kommunikation.

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