Breaking News: Zwischenfall in Münster

SA 07.04.2018 | 20.00 Uhr | ntv

Bitte nicht spekulieren. Die Polizei in Münster hat höflich darum gebeten, und irgendwie fanden ja alle, dass Spekulationen gar nicht gut seien und niemandem nutzen würden. Aber was, um Gottes Willen, soll man denn sonst erzählen, wenn man nichts, aber auch gar nichts weiß?

Am Sonnabendnachmittag raste in der Innenstadt von Münster ein Kleinlaster in eine Menschenmasse. Motiv: unklar.
Beim WDR dauerte es gute zwei Stunden, bis man mit einer kurzen Nachrichtensendung informierte. Bei phoenix ging es ein bisschen früher los.
Aber die privaten Nachrichtensender ntv und Welt waren dafür total präsent. Senden, senden, senden – dass die Reporter nichts wussten, war zweitrangig.

Die Wörter „offenbar“ und „wohl“ und „vielleicht“ und „eventuell“ hatten Hochkonjunktur. Angeblich gingen die Behörden von einem Anschlag aus, will man bei Welt erfahren haben. Und bei ntv faselte die Moderatorin davon, dass es ja total klar sei, dass man zu diesem Zeitpunkt – um kurz nach 17 Uhr, viel spekulieren müsse. Also, ähm, nein, man wolle natürlich nicht spekulieren, und man solle ja auch nicht spekulieren. Aber ntv war nun mal live und dauerhaft auf Sendung, ja, da MUSS man eben spekulieren, auch wenn einen das irgendwie…. ähm, na ja, den Puls hochtreibt, weil endlich mal wieder mehr Leute ntv einschalten. Dennoch, man wolle sich zurückhalten mit Spekulationen, stattdessen sagen, was man denn wisse.
Und weil das schlicht und einfach: nichts war, orakelten die Journalisten munter trotzdem gute drei Stunden lang, was das Zeug hält. Irgendwer hat bei Twitter von einem Anschlag gesprochen, was man bei ntv natürlich gleich verkündet – ist ja schließlich eine brauchbare Quelle, dieses Twitter.

Beim Teilzeitnachrichtensender Welt ist man unterdessen empört, dass ja auch viele Falschmeldungen im Umlauf seien. Wie zum Beispiel die von Welt, es könnte sich um einen Terroranschlag handeln.
Bei AfD mehren sich unterdessen die Erregungserektionen, viele sind da schon ganz aufgeregt und natürlich empört, empört, empört – weil es ist ja – und das weiß ja jeder – ein Terroranschlag! Natürlich hat Angela Merkel daran schuld, und deshalb twittert AfD-Frau Beatrix von Storch „Wir schaffen das!“ – mit Kotzsmiley. Andere würden vielleicht erst mal Beileid wünschen und auf Fahndungsergebnisse warten – nicht so die AfD-Leute, die sich zu freuen scheinen, dass endlich mal wieder ein Islamist was gemacht habe.

Bei Welt telefoniert man unterdessen mit einem Reporter namens Jens (ui!), der allerdings in Köln sitzt und auch nicht mehr weiß, als die Kollegen in Berlin. Vermutlich war man kurz davor, auch den Reporter in Washington noch anzurufen, um ihn zu fragen, ob er irgendwas gehört hat.
Natürlich saßen bald auch die Terrorexperten mit in den Nachrichtenstudios, denn auch wenn man noch nicht weiß, ob es Terror war (aber man geht ja davon aus, was soll es sonst sein?), kann man ja schon mal über eine Terrorzelle und über Mitwisser spekulieren. Und ein bisschen über die Salafisten plaudern. Und wenn es denn ein Anschlag sein sollte, man müsse es ja NOCH so sagen, meint der Terrorexperte. Rainer Wendet von der Polizeigewerkschaft ist auch schon da, und erläutert, dass man ja inzwischen mit allen möglichen Gegenständen Terroranschläge verüben könne. Und in der Regie kriegen alle schon ganz glasige Augen.
Zwischendurch noch schnell Twitterklatsch, wonach ein zweiter Täter auf der Flucht sei und aktuell eine Bombe entschärft werde. Wahrheitsgehalt: ungeprüft. Egal. Füllt Sendezeit. Auf Sendung damit.

Und dann: Ups, ist ein Deutscher. Also, laut ntv-Reporter ein Fast-Deutscher. Und da muss man ja wirklich noch mal ganz deutlich nachfragen, ob es denn nicht eventuell und vielleicht doch um einen islamistischen Anschlag handeln könnte – schließlich habe man ja nun stundenlang im Terrormodus gesendet, und da wäre ja ja blöd, wenn es doch nur der Jens – also nicht der Welt-Jens – gewesen wäre, der einfach nur psychisch krank ist und kein Terrorist.

Und im Ersten war Münster der „Tagesschau“ drei Minuten und keinen Brennpunkt wert. Wer zu diesem Zeitpunkt drei Stunden lang die Breaking News auf ntv und Welt gesehen hat, wird vermutlich wieder mosern, man zahle ja schließlich Rundfunkgebühren – und dann nicht mal ein Brennpunkt? Im Nachhinein ist die Entscheidung richtig.
Vielleicht ist es in unserer rasend schnellen Welt der Informationen manchmal schmerzhaft, abzuwarten. Und sich erst mal zurückzuhalten. Münster war dafür ein Lehrstück. Dass da jemand etwas draus gelernt hat, ist jedoch unwahrscheinlich. Welt und ntv haben am Sonnabend gezeigt, wie man die Menschen ganz schnell erregen und aufhetzen kann, in dem sie einfach munter Gerüchte verbreiteten und sich gleichzeitig empörten, dass irgendjemand Gerüchte verbreiteten. Also sie selbst.


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Kommentare

12 Antworten zu „Breaking News: Zwischenfall in Münster“

  1. ThomasS

    Ich habe mich gewundert, dass es keinen Brenpunkt gab.
    So sehr ist man schon dran gewöhnt.
    Vielleicht hat man sich die Kritik aus dem Internet zu Herzen genommen.
    Das wäre doch schon mal ein Fortschritt.

  2. RT

    Bis kurz vor 20 Uhr war tatsächlich wohl noch ein Brennpunkt eingeplant, er wurde im WDR angekündigt. Man hat sich dagegen entscheiden, weil es keinen terroristischen Hintergrund gab.

  3. ThomasS

    Dann hat man die Kritik wohl doch nicht wirklich verstanden.
    Wenn schon Fakten bekannt waren, hätte man auch einen Brennpunkt senden können.

  4. RT

    Aber die Fakten gab es doch vorher in der Tagesschau.

  5. ThomasS

    Fazit: Man sollte nicht nur verwirrt sein, sondern auch einen „terroristischen“ Hintergrund haben, damit man es mit seinen Gräueltaten in die Prime Time schafft?!?

    Die armen hochqualifizierten Journalisten wissen wahrscheinlich schon längst nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Ich höre die direkt jammern: „Wie man’s macht, macht man’s verkehrt!“

  6. ThomasS

    Wie würdest du es machen?
    Du bist ja auch Journalist.

  7. RT

    Grundsätzlich finde ich es albern, wie es ein Ereignis daran gemessen wird, ob es einen Brennpunkt bekommt.
    Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob in Münster ein Terroranschlag passiert oder ob ein Depressiver in eine Menschenmasse rast.
    Das problem war eher die aufgeheizte Stimmung – wie oben beschrieben. Da einen kühlen Kopf zu bewahren – das ist eigentlich die heutige Kunst für Journalisten. Deshalb ist die Entscheidung, keinen Brennpunkt zu senden, aus meiner Sicht richtig gewesen. Die Fakten gab es in der tagesschau – da wurde alles dazu gesagt. mehr Fakten hatten die privaten Nachrichtensender auch nicht, auch wenn es anders aussah.

  8. ThomasS

    Worin siehst du denn den „gewaltigen Unterschied“ zwischen einem Terroranschlag und einem „gewöhnlichen“ Amoklauf?

    In beiden Fällen kommt es schlimmstenfalls zu Verletzten bzw. Todesopfern, in beiden Fällen ist da jemand ausgetickt.

  9. ThomasS

    In beiden fällen sehnen sich die Täter offenbar nach Publicity.

  10. RT

    Im Fall eines Terrorangriffs ist die Dimension eher politisch.
    Selbstmördern sollte man eigentlich gar keine PR geben.

  11. ThomasS

    Ach, der IS übernimmt doch nur allzu gern die Verantwortung für jedes Blutbad in Europa … egal ob politisch motiviert oder nicht.

  12. RT

    In diesem Fall ja nicht.

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