Die Angst vor der Angst

Hobby: Der Fehrbelliner Jürgen Mühling hat von 1986 bis heute bereits mehr als 9500 Fallschirmsprünge absolviert

MAZ Neuruppin, 30.4.2011

Jürgen Mühling ist einer der Betreiber des Fallschirmsportplatzes in Fehrbellin. Gerade hat dort die neue Saison begonnen.

FEHRBELLIN
Bei seinem ersten Mal hatte Jürgen Mühling richtig Schiss. „Ich saß da und habe mich gefragt: Bist du bescheuert?“ Das war 1986. Damals saß er in einem Flugzeug, um sich kurz danach mit dem Fallschirm in die Tiefe zu stürzen. „Da kommt das Tier in dir raus, und du willst es wissen“, sagt Mühling.
Der Sprung: „Da bleibt dir erst mal der Magen stehen.“ Eine Minute lang im freien Fall. Reizüberflutung. Dann weitere drei Minuten am Schirm. Am Ende war der Eindruck ein bleibender: „Gelandet, aufgestanden, wow.“ Inzwischen hat der 44-Jährige genau 9520 Sprünge absolviert. „Eine kontrollierte Extremsituation.“

Jürgen Mühling – Spitzname: Mahle – ist einer von vier Betreibern der Take-Off Fallschirmsport GmbH am Rande von Fehrbellin. Er lebt seit 16 Jahren in der Stadt. Das Fallschirmspringen ist sein Leben – Platz für andere Hobbys bleibt da nicht. „Es gibt nichts, was mich mehr fordern kann“, sagt er und lächelt.
Er meint es ernst. Auf dem Tisch neben ihm steht der Laptop. Darauf sind unzählige Bilder und Videos gespeichert. Zum Beispiel der Film von der größten Sprungformation der Welt. Mahle war über Thailand einer von 400 Teilnehmern, die in der Luft bestimmte Formationen gebildet haben – als Geschenk für den König von Thailand. „Das ist einer der Sprünge, die ich nie vergessen werde“, sagt er.

Die Motivation für einen Fallschirmsprung aus 4000 Metern ist die Herausforderung. „Der Mensch kann auf Dauer seiner Langeweile nicht standhalten“, sagt Jürgen Mühling. „Der eine beschäftigt sich deshalb mit der Modelleisenbahn, andere brauchen mehr Action.“ Der Fallschirmsport sei eine sehr sichere Sportart. „Die Devise ist: Keine Angst vor der Angst.“
Allein 2000 Leute pro Jahr wagen über Fehrbellin den Tandemsprung. Wer eine eigene Lizenz haben möchte, muss mindestens 16 Jahre alt sein. Jeder braucht 25 bis 30 Sprungtage. Die Meteorologie, Freifalltheorie, Aerodynamik und das Luftrecht – in der Theorieprüfung müssen auch diese und weitere Themengebiete sitzen.

Gerade hat in Fehrbellin wieder die Saison begonnen. Jeden Tag sind Sprungschüler vor Ort. Ab und zu auch Prominente. Der Comedian Murat Topal drehte unlängst auf dem Flugplatz Szenen für seine Serie „Spezialeinsatz“ beim Pay-TV-Sender Sat.1 Comedy. Auch wenn der Berliner Komiker die in der Sendung gezeigten Sprünge selbst absolvierte – Jürgen Mühling war einer der Stuntdoubles. „Die Idee zu den Szenen hatte Murat, wir lieferten das Know-how“, erzählt der Fehrbelliner. Die Szenen liefen im März über die Bildschirme. Die Rhinstadt hatte darin – zumindest aus luftiger Höhe gesehen – ihren Auftritt.
Mahle bezeichnet Fehrbellin idealen Ort für die Fallschirmspringer. „Wir haben hier eine sehr große Fläche“, erzählt er. Gerade probiert die Crew neue Spielchen aus. Jüngst übten Mahle und seine Kollegen über Fehrbellin das Freifalltennis. Ein rasanter Ballwechsel am Himmel. „Wir wollen daraus einen Werbegag machen.“ Demnächst beginnen sie ein 16er-Training. Ziel ist eine Großformation. „Wir wollen versuchen, den Brandenburger Rekord zu knacken.“ Momentan liegt er bei einer 38er-Formationen. Denkbar seien darüber hinaus Sauerstoffsprünge aus einer Höhe von 7500 Metern.
An Zielen mangelt es Mahle nicht. Was er an seinem Sport so mag: „Ich muss mich nicht vergleichen.“ Allein das Erlebnis sei Erfolg genug. „Ich habe schon viel gesehen und erlebt. Ich bin zufrieden.“

*
Jürgen Mühling über …
…seinen allerersten Fallschirmsprung: „Ich bin eigentlich nicht der Härteste und Mutigste gewesen. Ich hatte damals den schönsten Schirm meines Lebens.“
… die ersten Sekunden im freien Fall: „Nach fünf bis sechs Sekunden ist man wieder klar.“
… die Faszination des Springens: „Der Respekt vor der Allmacht der Natur ist groß. Es beansprucht alle Sinne. Es ist toll, so viel erleben zu dürfen. Es wird nie langweilig.“
… seinen schönsten Sprung: „Den besten Sprung gibt es nicht. Du musst dich nicht festlegen, es ist jedes Mal ein neues Hochgefühl.“


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