Das jüngste Gewitter

Eigentlich macht es wenig Sinn, eine Handlung von „Das jüngste Gewitter“ niederzuschreiben. Denn an sich gibt es keine. Jedenfalls keinen wirklich roten Faden. Sagen wir mal stattdessen: Es gibt ein Thema. Irgendwie jedenfalls, man kann es erahnen, auch wenn es kein sehr konkretes ist.
Der Schwede Roy Andersson erzählt in seinem Film „Das jüngste Gewitter“ über Menschen, die in einer nicht näher benannten Stadt leben. Er zeigt das Glück und seine Vergänglichkeit. Fast reiht sich Szene an Szene, wie in einer Sketchsendung im Fernsehen. Hin und wieder gibt es wiederkehrende Orte und Personen.
Das mag zunächst nicht sehr einladend klingen. Deshalb mal klar ausgedrückt: „Das jüngste Gewitter“ ist mitunter sehr unterhaltsam und kurzweilig. Da reiht sich eine skurrile Geschichte an die nächste. Stellenweise erinnern sie an Loriot und seine sehr genau beobachteten Alltagsszenen: Da ist ein Ehepaar, dass einen Läufer kaufen will. Was so ein bisschen am Verkäufer scheitert. Ein Friseur, der aus Frust einem Kunden eine Glatze schneidet. Ein Psychiater, der nur noch Pillen, starke Pillen, verschreibt, weil er die Storys seiner fertigen Patienten nicht mehr ertragen kann. Und so weiter.
Ein Film voller skurrilem Witz, sehr feinem, leisem Humor. Sehr abgefahrene Menschen und Geschichten, die manchmal und vielleicht auch in seiner Gesamtheit ans Herz gehen.
Ein ungewöhnlicher Film, unkonventionell. Aber das muss es auch noch im Kino geben. Vor allem, wenn es so unterhaltsam ist.

7/10


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Kommentare

3 Antworten zu „Das jüngste Gewitter“

  1. Gerngucker

    Roy Anderssons Leitthema im „Jüngsten Gewitter“ könnte man auch wie folgt benennen: es ist schwierig, Mensch zu sein.

    Nur eine der Figuren vermag noch vom großen Glück zu träumen, die anderen haben sich ihrem tristen Dasein längst ergeben. Sie bewegen sich wie Scheintote durch fest abgesteckte Bahnen des Lebens, unfähig, ein Miteinander mit ihrem Umfeld einzugehen oder aufrechtzuerhalten. Ein trostloser Tag folgt dem nächsten, auch wenn ein Running Gag vorsichtig aber vergeblich Hoffnung auf das Morgen zu wecken versucht.
    Es ist eine Welt ohne den kleinsten märchenhaften oder freudigen Anstrich, sondern hier vermag selbst der schlimmste Albtraum wahr zu werden, wie die den Film umgebende Klammer am Ende zeigt.
    Bei einer der Episoden (Tischenthüller) bin ich mir gar nicht sicher, ob es sich nur um einen ganz entsetzlichen Traum handelt, oder ob sie gar aus dem Totenreich erzählt wird, da unmittelbar zuvor zu sehen ist, wie Lethe einen Schwarm Namensloser ins Reich der Vergessenen spült. Mir gefällt letztgenannte Deutung, die die dargestellte Schonungslosigkeit konsequent fortführt.
    Es handelt sich nur auf den ersten Blick um einen amüsanten, unterhaltsamen Film. Auf den zweiten Blick ist die „Komödie“ unbarmherzig ehrlich und niederschmetternd. Eine absurde, trockene und bissige Beobachtung, wie Menschen einfach nicht miteinander klarkommen, eine Beobachtung über ausgestorbene Wärme und Nächstenliebe.
    Der Gedanke an Loriot ist mir auch mehrfach in den Sinn gekommen, besonders bei der sehr offensichtlichen Referenz in der Balkonszene.

    „Das jüngste Gewitter“, ganz in der Tradition von „Songs from the second floor“ stehend, zählt für mich mit zum Besten, was das Kinojahr bislang auf die Leinwand gebracht hat. Ein Film, der beschäftigt und zum Nachdenken anregt, und in dem man auch bei mehrfachem Sehen Neues zu entdecken vermag (z.B. die im Bildhintergrund stattfindende Zurechtweisung eines leicht überschwänglichen Musikers bei der Trauerfeier) bzw. einzelne Szenen in der Erinnerung wecken kann. Auch verliert das Ende, welches Andersson den Bewohnern seiner Filmstadt androht, keineswegs an Wirkung. Die finale Gänsehaut überkam mich beim zweiten Sehen noch viel intensiver und schockierender, als bei der ersten (noch ahnungslosen) Betrachtung.
    Zudem mag ich die spröde, in langen Einstellungen gefangene Erzählweise, bei der sich die Kamera fast keinen Millimeter bewegt.

  2. LetThemEatCake!

    Erstmal gefiel mir der formale Aspekt des Films. Die Idee, jede Szene (bis auf die letzte, falls ich recht erinnere) in nur einer Einstellung mit unbeweglicher Kamera zu drehen, ist interessant. Wirkt nämlich einerseits sehr unaufgeregt und läd des weiteren dazu ein, auf Entdeckungsreise in den Tiefen des Bildes zu gehen (wie Gerngucker ja schon andeutete). Vor allem symbolisiert es Stillstand bzw. die fehlende Kraft der Protagonisten, aus ihrem Trott auszubrechen.
    Aber so sehr mir das anfangs gefiel und so spannend ich das auch fand, wurde es ab einem bestimmten Zeitpunkt fast schon monoton und fad. Zwar ahne ich, warum Andersson mit seinen unbewegten Bildern erst sehr spät im Film in einer ganz bestimmten Szene bricht, aber trotzdem: Too much is too much. Dennoch: Im Großen und Ganzen gefiel mir die Bebilderung und die sich daraus ergebende Atmosphäre des Stillstandes.

    Was die Themen des Films angeht, kann man sich auf Gernguckers „es ist schwierig, Mensch zu sein“ einigen, oder auch einfach feststellen, dass hier Widrigkeiten des Alltags und das Unvermögen mancher Menschen, etwas an ihrer Situation zu ändern, gezeigt werden. Ist aber auch wurscht, wie man die Themen des Films in Worte fasst, weil das nicht einfach zu formulieren ist und die Intentionen dieses Films eh intensiv erfühlt werden müssen während des Kinobesuchs. Ich denke, wir ahnen alle, was der Film will, haben aber Probleme, das akkurat und umfassend in Worte zu fassen, was ja aber auch nicht wichtig ist.

    Was die Qualität der episodenhaften Erzählung angeht, empfand ich sie als schwankend. Manche Alltagsszenen waren kreativ und witzig, manche leicht erschreckend, manche leicht berührend. Aber manche waren auch zu bemüht auf „grotesk“ und „abgefahren“ getrimmt, wiederum manche waren schlicht peinlich und manche der Episoden hatten eine unsägliche „Ich bin Künstler und hab was zu sagen“-Mentalität.

    Mein Eindruck von „Das jüngste Gewitter“ ist also leicht zwiespältig. Stellenweise grandios, stellenweise nervig, insgesamt gesehen aber Prädikat „ordentlich“ und durchaus empfehlenswert.

    EDIT:

    Ich sehe gerade, dass ich diesen Beitrag leicht fahrig formuliert habe. Aber damit müsst Ihr leben. Ätsch.

  3. TheCritic

    Würde den Film als Rückschritt hinter Songs from the second floor ansehen. Gut ist, was er beibehalten hat. Diese statischen tiefenscharfen Bilder, die zur Exploration durch das Auge einladen. Das Aufschimmern der nichtvergangenen Vergangenheit in der Gegenwart. Anderssons fabelhafter Umgang mit der Bewegung Masse vs. Einzelner. Das ist einfach großartig, wieviel er damit erzählen kann.

    Was mir aber im Gegensatz zum Vorgängerfilm abging ist dieses sich Fügen der einzelnen Episoden in den Gesamtkontext. Mag nur mein persönliches Unvermögen sein, aber bei Songs from the second floor ist es mir viel leichter gefallen, die anfänglich grotesken Szenen als Mosaiksteinchen in ein Bild zu fügen.

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