In der AGA (20): Die Rekrutenprüfung

Montag, 26. Oktober 1998. Der Tag aller Tage ist gekommen. Nun wollen die Herrschaften der Bundeswehr sehen, was wir in den vergangenen zwei Monaten alles bei ihnen gelernt haben. Die Rekrutenprüfung ist gleichzeitig unser Rückmarsch von Klietz nach Havelberg in die Kaserne. Der marsch wiederum ist der erste Teil der Prüfung. Und tatsächlich nur der Anfang von allem.

Alarmposten. Na, großartig. Jetzt dürfen wir wieder minutenlang in einer hohen Wiese rumlümmeln und auf irgendein Feld starren, auf dem nichts, aber auch wirklich gar nichts passiert. Andererseits: Solche Pausen werden wir noch mal herbeisehnen.

Schießen. Am Rande des Truppenübungsplatzes befindet sich ein Grabensystem. Das durchschreiten wir, um zum Schießplatz zu gelangen. Und einfach nur so in die Gegend ballern ist ja auch öde. Dafür mussten Pappkameraden herhalten. Und, man mag es kaum glauben. Ab und zu habe ich sogar mal getroffen!

Retten und Bergen von Zwergen. Das leidige Thema. Würden wir uns tatsächlich im Krieg befinden und würden wir tatsächlich ständig unter Beschuss stehen – wir alle hätten verdammt schlechte Karten. Wie wir es trotzdem geschafft haben, dass wir alle ein Häkchen bekommen haben, ist mir vollkommen unklar.

Unfallrettung. Das ist dann schon wieder ein bisschen einfacher. So einen Arm zu verbinden, das kann doch jeder. Was ist aber, wenn der andere blutet? Und was ist, wenn man kein Blut sehen kann? Aber zum Glück blutet ja keiner.

Langsam wird es dunkel. In voller Montur stiefeln wir einen Panzerweg entlang, durch den puren Zuckersand. Plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund: ABC-Warnung. Den Schnuffi raus, den Poncho übergezogen. Die ABC-Maske beschlägt sofort. Es nieselt ein wenig. Ich sehe überhaupt nichts mehr. Halb blind torkele ich durch den Zuckersand. Lass diesen Mist endlich vorbei sein! Weiter vorne ist Unruhe. Irgendwas scheint da passiert zu sein. Aber ich sehe ja nichts.

Ende Tag 1. Unser Gruppennest für diese Nacht haben wir endlich erreicht. Es ist stockduster. Trotzdem dürfen wir jeder noch eine Stellung ausbuddeln. Jetzt, wo wir darin Profis sind, ist das im Dunkeln natürlich kein Problem. Alle geben ihr Bestes, dennoch dürfen wir auf das Ergebnis morgen gespannt sein.
Während der Rekrutenprüfung gibt es auch nichts zu Essen, außer das, was das E-Pack so hergibt. Harte Kekse. Diverse Pülverchen. Pumpernickel… Reden wir nicht weiter davon.

Die Nachtwache darf natürlich auch nicht fehlen. Am Feuer und draußen in den Stellungen. Und ausnahmsweise führen wir auch mal ein Ablösegespräch.
Als Patrick und ich dann in Lauerstellung liegen, flüstert er mir es ins Ohr, warum beim ABC-Alarm so eine Unruhe herrschte. Die Leuchtrakete, die abgeschossen wurde, soll so unglücklich abgezischt sein, dass ein Soldat geblendet wurde und ins Krankenhaus musste. Na ja, kann ja mal passieren.
Unterdessen ist die Lage ruhig. Aber es ist kalt. Arschkalt. Patrick nickt ein.

Dienstag, 27. Oktober 1998, Tag 2 unserer Rekrutenbesichtigung. Im Morgengrauen begutachten wir unsere gestern im Dunkeln ausgehobenen Stellungen. Alle Achtung! Gar nicht mal schlecht! Ich hätte sie immer blind bauen sollen…

Meldung und beobachten. Wieder mal eine dieser Stationen, bei der man nur doof irgendwo rumliegt oder –sitzt und später über das Nichtgeschehene berichten darf…

Skizzen. Ach, schon lange kein Kunst mehr gehabt. Hab ich nach der 10. Klasse abgewählt. Aber um ein paar Bäume (Kreise) und Sträucher (Kreise), Wege (Striche) und Straßen (Striche) zu malen, braucht man wohl diese Kenntnisse auch gar nicht.

Der Orientierungslauf. Bei dem muss man sich eigentlich nur danach richten, wo die Vorgänger lang laufen. Oder besser: Die ersten warten an einem bestimmten Punkt der Strecke, bis alle da sind. Gemeinsam laufen alle bis kurz vor das Ziel, um dann nach und nach ins Selbige zu spazieren. Viel Orientierung braucht man da nicht. Wohl eher Teamgeist.

Waffen auseinandernehmen und zusammensetzen. Inzwischen setzte ein schöner Landregen ein. Unter dem Poncho kommt man ins Schwitzen. Auf einer nassen und pfützenreichen Matte darf man sich nun also mit dem G3 beschäftigen. Alles ist glitschig und rutschig. Ach, leckt mich doch alle am Arsch. Bei mir dauert die Prozedur lange. Sehr lange. Zu lange. G. lässt mich trotzdem bestehen. Mich noch mal zwei Monate diesen Stuss machen lassen, will wohl auch er mir nicht zumuten.

Der Regen wird stärker. Weil da so ist, erspart man uns auch die Sturmbahn. Die wäre für uns zu rutschig gewesen. Schön, dass man darauf ausnahmsweise mal Rücksicht nimmt. Aber wahrscheinlich hatte bei dem Wetter auch niemand mehr groß Lust, uns beim Rackern zuzusehen. Auch wird uns der Weg rund um Havelberg herum erspart. Stattdessen setzen wir mit einer Fähre über die Havel und dürfen durch die Stadt laufen.

Es ist ein regelrechter Triumphzug, unsere Rückkehr nach Havelberg. So müssen sich Soldaten fühlen, die aus dem Krieg heimkehren. Na ja, oder so ähnlich. Auf jeden Fall haben wir es geschafft. Und das ist aber wirklich ein kleiner Triumph für jeden von uns. Mit vollem Gepäck sind wir in den letzten drei Tagen um die 40 Kilometer gelaufen, haben beobachtet, geschossen, gebuddelt und und und…

Jetzt ist es geschafft. Die Grundausbildung ist zu Ende. Nun müssen wir nur noch die Ausrüstung reinigen. Jedes Teil. Ganz gründlich. Und das dauert. Übermorgen verlassen wir diesen Hof, das Pionierbataillon in Havelberg, das allerletzte Mal. Auf nimmer Wiedersehen.
Morgen wird es noch mal öde. Putzen. Packen. Warten. Aber egal. Die AGA ist vorbei!


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