In der AGA (17): Nachtschießen

Es ist Donnerstag. Unser vierter Tag im Schieß-Biwak in Wesendorf. Und eines haben wir inzwischen hundertprozentig festgestellt: Unsere Hauptbeschäftigung ist hier weder das Schießen, Wandern oder Feinde beschießen. Nein, es ist das Warten. Das warten nach dem Schuss. Bis man wieder zur Schießanlage latschen und ein paar Schüsse abfeuern darf, vergeht schon mal einige Zeit.

Heute, einen Tag vor unserer Abreise zurück nach Havelberg, erwartet uns noch ein ganz besonderes Highlight. Das Nachtschießen. Dazu marschieren wir heute noch ein zweites Mal aus unserem Gruppennest im Wald heraus auf die Schießanlage. Es ist 19 Uhr, und Anfang Oktober ist es ja um diese Uhrzeit schon fast ganz dunkel.
Nun fragt sich der Laie natürlich ganz besorgt, wohin man denn in der Dunkelheit um Gottes Willen hinschießen soll. Also genauer gesagt, fragt sich das nicht nur der Laie, sondern wir auch. Aber unsere Fragen werden ja glücklicherweise beantwortet. Denn um auch in finsterster Nacht die Scheibe zu treffen, gibt es ein Nachtsichtgerät. Das hat sicherlich auch einen speziellen Namen, aber man kann ja nicht alles wissen. Dieses Ding wird auf das G3 geschraubt, so dass man sein Ziel irgendwie sehen kann.
So weit, so gut. Aber an erster Stelle steht auch diesmal das warten.

Kalt geworden ist es auch noch. Heute Nacht hatten wir den ersten Frost. Das merkt man im warmen Schlafsack zwar nicht, aber sobald man sich aus ihm herausschält, wird es schon ein wenig kühl.
Entsprechend fröstelnd begebe ich mich in den Schießbereich, in dem eine Matte liegt, auf die man sich legen muss. Davor erkenne ich bereits im matten Lichtschein das Gewehr mit diesem komischen Teil drauf. Angeblich soll damit alles total einfach sein. Man sieht da durch, knallt ab, ist zufrieden und geht wieder. So sieht das in der Theorie aus. Aber alle, die bisher nach dem Schießen wieder zu uns kamen, sahen keineswegs glücklich aus.

„So, Pionier“, wendet sich ein Unteroffizier an mich, „können Sie irgendwas erkennen?“ Ein wenig ratlos blicke ich in tiefes Schwarz. „Was soll ich denn da sehen? Hier ist gar nichts.“ – „Sie müssten eigentlich mehrere rote Punkte erkennen.“ – „Sind Sie sich sicher?“ – „Die anderen Pioniere konnten das doch auch!“ Ist es eigentlich einem Unteroffizier erlaubt, einen Pionier anzulügen? Niemand hat bisher auch nur irgendwas in diesem blöden Teil erkennen können. Nur will es der Uffz nicht wahrhaben. „So, Pionier! Ich hab nicht ewig Zeit und Ihre Kameraden wollen ja auch noch zum Zuge kommen!“ Der Uffz lügt schon wieder, aber was soll’s…

Ich schieße. Irgendwo dahinten macht es „Peng!“. Es klang allerdings nicht wie eine Schießscheibe. „Was war das denn?“, fragt der Unteroffizier. Ich antworte erst gar nicht. Es ist mir auch vollkommen egal, Hauptsache der Mist hier hat schnell ein Ende.
„Auf die Scheibe, nicht auf den Pfeiler!“, erschallt von irgendwo aus der Dunkelheit ein Ruf. „Geben Sie sich mal ein bisschen Mühe, Pionier!“, kommentiert der Uffz diesen nett gemeinten Hinweis.
Aber was soll’s. Ich seh sowieso nichts. Ich knalle wieder ins Schwarze. Es bleibt kurz still. Dann: „Na bitte!“ Wahnsinn! Getroffen!


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