Täglicher Begleiter und Hochzeitskutsche

Erinnerungen an 100 Jahre S-Bahn – Großer Schub durch Elektrifizierung – Engpässe nach dem Mauerbau – Lehnitz hatte Schrankenwärter

MAZ Oberhavel, 26.9.2025

Oranienburg.
Es gab eine Zeit, da hatte Lehnitz noch einen Bahnübergang. Er war bis etwa Mitte der 1970er-Jahre ungefähr dort, wo sich jetzt der lange Fußgängertunnel unter dem S-Bahnhof befindet. „Meine Mutter war dort Schrankenwärterin“, erinnert sich Marlies Bärbel Arian. Die Oranienburgerin, Jahrgang 1954, hat nicht nur deshalb eine enge Verbindung zur S-Bahn. „Das war ein harter Job“, sagt sie. „Da war eine echte Kraftaufwendung nötig, und die Schranke musste ziemlich oft bedient werden.“ Nachdem der S-Bahnhof Lehnitz auf einem Bahndamm neu gebaut und 1980 eröffnet wurde, ist auch die Verkehrsführung im Ort so, wie wir sie heute kennen.

Es ist eine von vielen Geschichten, die sich um die S-Bahn in Oranienburg drehen. Es sind jetzt 100 Jahre! So lange fahren nun schon S-Bahnen aus und in die Stadt. Am 4. Oktober 1925 ist der Betrieb mit den elektrisch betriebenen Zügen aufgenommen worden.
Das heißt nicht, dass vorher gar keine Bahnen fuhren, sie wurden aber noch mit Dampf betrieben. Bereits am 10. Juli 1877 wurde der Bahnbetrieb auf der Strecke Berlin – Oranienburg – Neustrelitz – Neubrandenburg aufgenommen. „Die Bahn, wie wir sie heute kennen, ist schrittweise gewachsen“, sagt Udo Dittfurth, Leiter des S-Bahn-Museums in Berlin. Erst mit einem, später mit zwei Gleisen. „Der Vor-Ort-Verkehr begann später. 1912 hat man angefangen, ihn von den Fernbahngleisen zu trennen.“

Die Elektrifizierung der Bahn „war zugleich ein ungeheurer Modernisierungsschub. Es gab neue Gleise, neue Empfangsgebäude. Das war mehr als nur der Strom für die Züge.“ Es habe auch den Drang gegeben, die Fahrzeuge zu erneuern. „Durch den Ersten Weltkrieg und fehlende Wartung des Maschinenparks“, so Udo Dittfurth weiter. „Der Dampfbetrieb wurde unattraktiv.“ Alles sei dreckig und verrußt gewesen, und Umweltschutz habe damals schon eine Rolle gespielt.
Durch die S-Bahn sei damals auch 20 bis 25 Prozent Fahrtzeit eingespart worden. „Das Reisen wurde attraktiver und schneller. In den Vororten von Berlin entstanden neue Wohngebiete.“ Der 20-Minuten-Takt, den die heutige S1 von Oranienburg aus auch heute noch bedient, habe von Anfang an auf der Strecke gegolten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1945, sind viele Gleisanlagen demontiert worden. Auch der Lehnitzer Bereich sei nun wieder vorübergehend eingleisig gewesen.
Ab 1952 wurde die deutsche Teilung mehr und mehr ein Thema. West-Berliner konnten in Frohnau nicht weiter, sie durften nicht in die DDR einreisen, in Hohen Neuendorf wurde kontrolliert. 1953 wurden Durchläuferzüge eingeführt, die auf West-Berliner Bahnhöfen nicht hielten. „Das war eine große Herausforderung“, so Udo Dittfurth.
Ab 1956 gab es zusätzlich sogenannte Sputniks. Das waren Züge, die in Oranienburg starteten und über Hohen Neuendorf und Schönfließ nach Berlin-Lichtenberg fuhren. Nach dem Mauerbau fuhr die S-Bahn zunächst nur zwischen Oranienburg und Hohen Neuendorf. „Oranienburg war als Industrie- und Militärstadt so wichtig, dass sie weiterhin von der S-Bahn bedient werden sollte“, erklärt der Bahnexperte. Es ist hinter Hohen Neuendorf eine Verbindungskurve an den Außenring gebaut sowie ein elektrisches Gleis bis Berlin-Blankenburg gebaut worden. Schon im November 1961 konnte die S-Bahn wieder fahren – dann aber nach Ost-Berlin.
Erst 1992, nach dem Mauerfall, erfolgte der Lückenschluss zwischen Hohen Neuendorf und Frohnau, sodass die S-Bahn aus Oranienburg wieder auf ihrer Stammstrecke fahren konnte.

Auch wenn der S-Bahn-Verkehr nach Berlin durch die Stellwerk-Probleme momentan gestört ist und die Leute genervt sind: Die Anbindung ist wichtig für die Stadt.
Das findet auch Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos): „Die Anbindung an die S-Bahn Berlin macht für Oranienburg einen entscheidenden Unterschied. Nah genug dran und weit genug weg“, sagt er.

„Viele von uns haben viel Lebenszeit in der S-Bahn verbracht.“ Marlies Bärbel Arian hat sogar einen besonderen Moment in der S-Bahn erlebt. „Am 27. April 1973, kurz nach unserer standesamtlichen Trauung, wurde die S-Bahn zu meiner Hochzeitskutsche“, erzählt sie.
„Wir haben wegen meiner Schwiegereltern heimlich geheiratet und wollten beide in Berlin wenigstens schön essen gehen“, erinnert sie sich. „Am Bahnhof trafen wir zufällig auf den Freund meines Mannes, der dann, zwar überrascht von der Eheschließung, spontan mit nach Berlin fuhr.“ So fuhren sie mit der S-Bahn zum Alexanderplatz, ins dortige Kaufhaus, ins oberste Stockwerk, „wo sich das einfache und billige Restaurant befand“.

„Die S-Bahn hat mich durch alle Lebensphasen begleitet und fühlt sich nach Zuhause an“, so Alexander Laesicke. Als Jugendlicher sei er mehr als einmal nach einem Club-Besuch in Bernau aufgewacht, „weil ich vergessen hatte, umzusteigen. Einmal musste ich nach einem Fußballspiel auch von Frohnau aus laufen, weil dort der S-Bahnbetrieb in der Nacht eingestellt wurde.“

Prägend sind für Marlies Bärbel Arian aber vor allem die Geräusche, die die alten S-Bahnen bis Mitte der 1990er-Jahre gemacht haben. Das Brummen der Motoren beim Anfahren, „das Rattern, das Geräusch beim Druckablassen, wenn die Bahn stehenblieb“.

Wer das Gefühl und den Sound der ganz alten Bahnen erleben möchte, kann die Fahrten mit dem Traditionszug des Vereins Historische S-Bahnen nutzen. Am 31. Oktober ist eine Halloweenfahrt geplant, ab 29. November fährt der Weihnachtszug. Infos dazu auf www.hisb.de.


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