phoenix vor Ort: Aktuelles nach der Bundestagswahl

DI 26.09.2017 | 9.00 Uhr | phoenix

AfD! Bei den drei Buchstaben wird man in vielen Redaktionen schon ganz nervös. Hat wieder ein AfDler irgendwas Schlimmes gesagt? Ist das eine Schlagzeile wert? Bringt das Klicks und Quote? Oder ist Ignorieren nicht manchmal auch besser? Oder einfach mal nüchtern zu berichten?
Das ist momentan ein großes Thema, weil in diesen Tagen ARD und ZDF immer wieder vorgeworfen wird, zum Erfolg der AfD mit beigetragen zu haben (und von der „Bild“ spricht niemand?).
Als Pauschalvorwurf ist das natürlich Quatsch. Immer ganz von der Hand zu weisen ist das aber auch nicht – wie ein denkwürdiges Interview am Dienstag zeigte. Eine WDR-Reporterin sprach mit Marcus Pretzell, der ihr erzählte, dass er die AfD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag verlassen werde und die Partei gleich mit. Eine richtige Begründung nannte er nicht, was die nicht sichtbare Reporterin hörbar störte.

Die Reporterin hakte nach. Ob er nicht dazu gehören wolle zu den grölenden Höckes und den Gaulands, die Frau Merkel jagen wollen, um das deutsche Volk wieder heimzuholen.
Dazu Marcus Pretzell: „Ach, wissen Sie. Das sind so Fragen, die Sie stellen, die mich überlegen lassen. Ob es nicht vielleicht Sie sind, die genau zu einer solchen Radikalisierung der Gesellschaft beitragen – ganz maßgeblich, und der WDR ist da leider sehr weit vorne, weil auch Ihnen leider die Fähigkeit zur Differenzierung völlig abgeht.“
Die WDR-Frau tat das ab, ein bisschen Medienschelte müsse immer sein. Worauf Pretzell ihr nochmals vorwarf, dass sie nicht differenziert sei.

Nun kann man sich sicher wieder empören. Über die AfD. Über Pretzell.
Nur leider: Pretzell hat im Kern nicht Unrecht.
Denn die WDR-Journalistin war gerade in diesem Interview – ausgestrahlt am Dienstagnachmittag auf phoenix – alles andere als differenziert und unvoreingenommen. Wenn sie von den „grölenden Höckes und den Gaulands“ spricht, macht sie ihre persönliche Meinung deutlich. Sicherlich, sie kann Pretzell mit Aussagen von Gauland konfrontieren, aber nicht auf die Art, mit der sie gleich vorweg schickt, dass sie selbst, sie ganz persönlich, das unerhört findet. Das ist unprofessionell. Die WDR-Frau kann privat denken und sagen, was sie will. Im Job muss sie sich überlegen, wie sie ihre Fragen verpackt – im Idealfall ohne Wertung. Dass sie das als doofe Medienschelte abtut, ist ebenso undifferenziert, denn in diesem Fall ging es konkret um sie selbst.
Die WDR-Frau hat nicht gut gearbeitet, und hier wurde sofort der Finger in die klaffende Wunde gelegt.

Übrigens war dieser Schlagabtausch auch deshalb spannend, weil Marcus Pretzell schon gar nicht mehr als AfD-Mann zu sprechen schien. Denn er machte deutlich, wie die Medienmasche – und es ist definitiv eine Medienmasche – funktioniert. Jemand sagt etwas, und dann wird es aufgebauscht, ohne mal ganz genau zu betrachten, was da eigentlich abging. Es gibt bei der AfD sehr sicher sehr viele Gründe empört zu sein. Das Problem: Die Medien nutzen diese Empörung zu oft für sich selbst aus. Denn Empörung bringt Klicks. Und gerade die „Bild“ ist auf diesem Empörungstrip und merkt vielleicht nicht mal, dass sie die besten Pusher für die AfD sind. Dem WDR warf Pretzell dies ebenfalls vor. Die Journlastin, die da gerade vor ihm stand, hat ihm da leider wieder sehr viel Futter hingeworfen.


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