Das Medium

SO 31.10.2010 | 19.05 Uhr | RTL

Wenn ein geliebter Mensch plötzlich stirbt, bleiben Fragen offen. So begann am Sonntagabend die neue RTL-Hokuspokusshow „Das Medium“. Und eigentlich hätte es dann weiter heißen müssen: Diese Fragen nutzen findige Geschäftsleute schamlos aus. Mit dem Unterschied: bei RTL müssen die Leute wenigstens nichts zahlen.

Zu Halloween hatte RTL das passende Programm und ließ Tote sprechen. Oder so. Kim-Anne Jannes kann angeblich mit verstorbenen Menschen in Kontakt treten. So auch mit Uwe Barschel. 1987 wurde der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimmers gefunden. Seine Frau Freya glaubte nie an Selbstmord. Nun sitzt sie in ihrem Haus, in dem sich seit den 80ern offenbar nichts verändert hat, und hadert mit ihrem Leid, mit sich und ihrem Leben.

Aber bevor Uwe Barschel von den Toten erweckt wurde, musste sich das Medium noch mit anderen Fällen beschäftigen.
Eine Frau vermisst ihren älteren Bruder, er starb gemeinsam mit drei Kameraden von der Bundeswehr bei einem Unfall an einem Bahnübergang. Die Moderatorin Petra Neftel stapfte durch den Schnee (schon ganz schön alt die Sendung, nicht wahr?) und fragte sich und die Zuschauer: Wird das Medium es schaffen, Kontakt aufzunehmen? Huijuijui, wie gruselig!
Die Frau erzählt mit feuchten Augen, dass ja der David für jeden Witz und Scherz bereit gewesen sei. Dass dazu ein Foto zu sehen war, auf dem zwei Leute höchstwahrscheinlich den Hitlergruß zeigen, ist bei RTL wohl keinem aufgefallen. Oder haben die doch eher gewunken? Nein, sah nun wirklich nicht so aus.
Das Medium sitzt schon im Sessel, und natürlich hat sie schon Kontakt zu dem Toten. „Er zeigt mir, wie ein Zug fährt…“ Oh! Da geht ja die Schranke hoch! Und es kommt noch ein Zug! Oooh! Alles klar: Es war ein technischer Fehler an der Schranke. Fall gelöst, Schwester beruhigt. Ach ja, schöne Grüße.

Bei Google ist in der Zwischenzeit eine häufig gesuchte Abfrage: „Kim-Anne Jannes Betrügerin?“

Fall zwei: In einem Haus auf Mallorca passiert ein Mord, zumindest sieht das Medium einen Mord. Sie labert etwas von innerer Anspannung, blablabla.
Interessant ist: Das, was RTL zeigt, ist nicht identisch mit dem, was RTL vorab der Presse von der Sendung zeigte. Sowohl die Geschichte am Bahnübergang als auch die auf Mallorca existierten nicht auf der Presse-DVD. Dafür zwei andere nun nicht ausgestrahlte Fälle.
Außerdem brach RTL mitten im Satz den Mallorca-Fall ab und ging zu Barschel über. Wurde die Sendung kurzfristig komplett überarbeitet?

Dann aber die Sensation: „Herzlich Willkommen in meinem Reich“, lässt Uwe Barschel über das Medium ausrichten. Freya Barschel will endlich wissen: Wurde ihr Mann 1987 in Genf umgebracht oder war es doch Selbstmord?
Und, ja, es sei Mord gewesen – eine morphiumähnliche Substanz, die über den Lüftungschlitz ins Bad gelangte, so Barschel, so Jannes. Er habe innerlich zu zittern begonnen und ein Beben gespürt. Er habe etwas tun wollen, konnte aber nicht, die Atmung sei ihm schwer gefallen. Auf dem Boden sei er zusammengebrochen und erst nach seinem Tod in die Badewanne getragen worden – wegen der Spuren.
Und gleich die nächste Enthüllung: Ja, derjenige, mit dem sich Barschel treffen wollte, sei auch derjenige, dessen Schritte er hörte, als er tot war (hä?). „Ist er umgebracht worden?“, fragt Moderatorin Petra Neftel vorsichtshalber noch mal nach. „Ja, sicher“, sagt das Medium, sagt Barschel.
Freya Barschel sieht ihren Mann rehabilitiert, während sich die TV-Nation die Augen reibt. 23 Jahre Politgeschichte einfach so vom Tisch gewischt. Und RTL hat diese Sensation monatelang in seinem Archiv verstauben lassen. Warum hat „RTL aktuell“ damit nicht aufgemacht? Warum moderiert das Medium eigentlich nicht „Aktenzeichen XY ungelöst“? Wir könnten viel Zeit mit Ermittlungskram sparen.

Aber keine Angst, RTL hat uns nur auf den Arm genommen. Dort hielt man das alles wohl auch für Unsinn. Im Abspann stand, die Aussagen des Mediums im „Fall Barschel“ seien juristisch nicht relevant. Auf Deutsch: Alles Käse. Alles nur ausgedacht, der übliche Dokusoapdreck.
Der Presse wurden übrigens auch die Barschel-Szenen vorab nicht gezeigt. Und in der RTL-Mediathek im Internet fehlte bis jetzt, Montagnachmittag „Das Medium“. Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, sich den Müll noch mal ansehen zu wollen und denkt, das stimmt alles, was „Das Medium“ so daherlabert.

Aber vielleicht sollte man das auch mal so sehen: Es war Halloween und RTL hat die Geister geweckt. War ja dann doch ganz lustig. Irgendwie.


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