Die Nacht der Entscheidung

DI 03.11.2020 | 0.15 Uhr (Mi.) | ZDF

Der Titel der Sendung war eine Lüge. Aber das konnte ja vorher keiner ahnen. Denn „Die Nacht der Entscheidung“ brachte keine Entscheidung.
Die meisten großen Sender waren in der Nacht zu Mittwoch live dabei, als in den USA die Stimmen gezählt wurden. Bei der Wahl um den Posten des Präsidenten der Vereinigten Staaten traten für die Republikaner Donald Trump und für die Demokraten Joe Biden an.

Problem für die Sender schon im Vorfeld: Eigentlich passiert vor 4 Uhr nicht wirklich was Aufregendes. Es schließen die ersten Wahllokale, es treffen die ersten Ergebnisse ein. Aber dennoch will man schon um Mitternacht dabei sein, im Ersten sogar schon vorher, der Nachrichtensender Welt war schon ab dem frühen Abend dabei, RTL begann die Vorberichterstattung bereits zur Primetime, bei Bild legten sie auch schon am frühen Abend mit ihrer Sondersendung los.
Es musste also seeehr viel Zeit mit seeehr viel heißer Luft gefüllt werden. Beim ZDF löste sich eine Gesprächsrunde nach der nächsten ab. Mit zunehmend vor Müdigkeit eingefallenem Gesicht talkte sich Bettina Schausten stundenlang einen Wahlwolf. Erstaunlich, wie sie über sieben Stunden ihre Konzentration halten konnte.

Im Ersten dagegen mühte sich Jörg Schönenborn, der Herr der Statistiken, mit seinem Jackettärmel ab. Immer wenn er am Touchscreen herumhantierte und irgendwelche Balkendiagramme zeigen wollte, ploppte immer wieder (und wirklich immer und immer wieder) Texas auf. Wenn Schönenborn Zahlen aus Kalifornien zeigen wollte, ploppte Texas auf. Wenn er Arizona zeigen wollte, ploppte auch Texas auf – im Laufe der Nacht ein Running Gag.
Damit die Zuschauer beim ZDF nicht wegdämmern, hat man dem dortigen Zahlenmann Christian Sievers wieder ein akustisches Signal gegeben, mit denen er neue Ergebnisse ankündigen konnte – einen Gong. Und selbst wenn Bettina Schausten meinte, es würde auch ohne Gong gehen, ließ es sich Sievers nicht nehmen, trotzdem zu gongen. Irgendwie muss man sich ja bei Laune halten.

Bei Bild haben sie sich übrigens was ganz besonderes ausgedacht: Gesendet wurde aus dem Oval Office – als würde man annehmen, dass am Ende der Wahlsieger persönlich vorbeischauen würde. Bild-Chef Julian Reichelt hätte das sicher gefallen. Nur die Stühle, auf denen Moderatoren und Gäste sitzen mussten, wirkten doch arg ungemütlich und wie aus einem Museum entnommen.
Aber immerhin einfallsreicher als Das Erste, das aus einem kargen, blauen Studio sendete, wo sie ein paar Kulissen und den Texas-liebenden Touchscreen reingeschoben haben. Lahm und billig, für Das Erste reichlich enttäuschend.

Nach 6 Uhr war klar, dass nichts klar ist. Ob Trump oder Biden gewinnt, ist nicht in dieser Nacht entschieden worden. Kurz bevor Trump seine „Ich habe trotzdem gewonnen“-Rede gehalten hat, konnte Bild-Chef Julian Reichelt ein Gähnen nicht mehr unterdrücken.

-> Die Sendung in der ZDF-Mediathek (bis 4. November 2021)
-> Die Wahlsendung des Ersten in der ARD-Mediathek
-> Die Bild-Wahlsendung auf Youtube


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